Go for it!

Long Island

Freitagnachmittag ist Rushhour zwischen den Hamptons und New York! Wie riesige Insekten fliegen Helikopter und Wasserflugzeuge im Minutentakt am strahlend blauen Himmel: „Brrrrrr, srrrrrr“, es ist ein einziges Summen und Brummen.
Wir betrachten die Holz-Villen, mit ihren weißgestrichenen Fensterläden, den Shutters, die für diese Region typisch sind. Verspielte Türmchen auf den Dächern und rankender Efeu, verleihen den Schlösschen etwas Märchenhaftes. Alles ist geschmackvoll, hübsch und besonders. Und trotzdem springt der Funke der Begeisterung irgendwie nicht so richtig auf mich über. Es mutet einfach alles etwas provinziell an…

Long Island

Die Leute sind augenscheinlich reich. Die meisten lassen sich chauffieren. Selbst 70-Jährige tragen ihre Schönheits-OPs an Busen und Po offen zur Schau. Falten sind mit Botox geglättet und Fillern modelliert. Nägel und Wimpern sind selbstverständlich unecht. Goldschmuck hängt schwer an Armen, Hälsen und Ohren. Die Kleidung zeigt Gucci, Prada und Luis Vuitton Label.

Wir gucken uns Southhampton an. Dort begegnen wir endlich New Yorker Lifestyle. Gleichzeitig verspüre ich wieder eine irgendwie dörfliche Atmosphäre. Alles ist zu sehr gepflegt. Es ist erstaunlich wenig los. Die Reichen verstecken sich hinter gepflegten Hecken, riesigen Toren und Zäunen. Auf mich wirkt es piefig. Leute die NICHT hier wohnen, erkenne ich sofort an ihren neidischen Blicken.



Eine Amerikanerin spricht uns auf Deutsch an. Ich frage sie: „Wo haben sie so gut Deutsch gelernt?“ Sie antwortet lachend: „Meine Mutter sprach Deutsch. Sie war Deutsche jüdischen Glaubens. Sie tanzte in Wien an der Oper Ballett. Es war ihr Jungmädchentraum, der für sie wahr wurde!“ Sie seufzt und fährt fort: „Leider endete er jäh mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Mein Vater stammte aus Polen. Er verlor seine gesamte Familie in Ausschwitz.“ Ich bin betroffen und sage: „Meine Generation fühlt sich immer noch verantwortlich. Ich tue alles dafür, dass es niemals vergessen wird! Ich spreche jetzt schon mit meinen Kindern darüber…“ Sie legt eine Hand auf meinen Arm und antwortet: „Kindchen, ich habe euch doch schon längst verziehen! Ich war Lehrerin. Ich sah mir deutsche Schulen an und den Unterricht über den Holocaust, zu dem auch der Besuch ehemaliger Konzentrationslager zählte…“ Sie streichelt meinen zweijährigen Jungs übers Haar und sagt: „Und diesen kleinen Wesen gibt es doch gar nichts zu verzeihen!“ Ich bin zutiefst gerührt.

Am Strand treffen wir auf Hipster. Sie geben sich betont lässig und cool. Obwohl die rote Fahne demonstrativ im Wind flattert, reiten sie die Wellen ab.

Im Fire Island National Seashore finden wir unser Paradies! Fast die gesamte Düneninsel, die Long Island vorgelagert ist, steht unter Naturschutz. Diese natürliche Barriere ist knapp 50 Kilometer lang und tausend Meter breit. Die Wellen sind gigantisch! Es macht unglaublich Spaß in ihnen zu springen, unter ihnen durchzutauchen und mit ihnen zu schwimmen! Die Kinder können zwar nur mit den Füßen planschen, weil ihnen die Brandung sonst die Beine weghaut, aber sie lieben die Wellen trotzdem. Sie bauen Schutzdämme, die binnen Sekunden wieder brechen. Die Kleinen graben riesige Löcher, die sich mit Wasser füllen. Wir toben den ganzen Tag. Abends plumpsen wir glücklich, erschöpft und zufrieden in unserem Zelt auf die Isomatten und schlafen tief und fest.
Ein Litauer, der ein Work-and-Travel macht, erzählt: „Ich werde immer für einen Deutschen gehalten.

Lachend sage ich: „Ja, mit deinen blonden Haaren, der Brille und weil du so groß bist, kann ich mir das gut vorstellen. Aber für mich ist der Abstand zwischen Leuten aus dem Baltikum und Polen auch weniger groß, als zwischen Norddeutschen, Schweizern und Österreichern. Ich glaube, es gibt nur auf Grund der schlimmen historischen Vergangenheit immer noch Vorbehalte…“

Er nickt: „Ja, finde ich auch. Aber zwischen jungen Leuten werden sie zunehmend weniger… Nur die Beziehungen zu Russland sind auch gegenwärtig unglaublich schlecht und erdrückend, nicht bloß in der Vergangenheit. Es ist daher verrückt, dass ich in den USA, während meines Work-and-Travels ausgerechnet mit Russen befreundet bin!“ Er lacht und sagt: „Das ist das Gute an dem J1-Visum, dass man trotz der politisch schwierigen Situation, auf persönlicher Ebene Freundschaften schließen kann.“

Letztlich sind es die Geschichten am Wegesrand, die der gesamten Ostküste etwas Kosmopolitisches geben. Die Menschen, denen wir begegnen, sind offen, neugierig und weltgewandt.


Die Ländlichkeit, selbst in diesem Teil der USA, steht im krassen Gegensatz dazu. Das lässt uns erfahren, warum das Land, welches einen ganzen Kontinent bildet, so zerrissen und gespalten ist. Trotzdem beeindrucken die US-Amerikaner mit ihrer Lockerheit, Toleranz und dem Glauben, das einfach alles möglich ist. Ganz besonders auf Long Island…

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