Flashback – Polarkreis

Last nomads – Im Land der Sámi

Das geht ja gut los: nämlich gar nicht! „For your safety, we have decided to cancel the traffic“, teilt das Bahnunternehmen mit. „There is a risk that the temperature may go below -30° C“, auf der über 500 Kilometer langen Zugstrecke zwischen Luleå in Schweden und Narvik in Norwegen. „North of Kiruna the trains run long distances trough roadless land“, das war der Grund, warum wir diese Strecke nicht mit dem Auto fahren können! Wir wollten auf die Bahn ausweichen, denn Fliegen kommt zum Schutze des Klimas nicht in Frage! „This means a limited possibilty of evacuating if something should happen to infrastructure or vehicels.“

Ich habe plötzlich mächtigen Respekt davor, ins Land der Sámi zu fahren!

Die Samen sind ein eingenständiges Volk. Ihr Siedlungsgebiet erstreckt sich über Schweden, Norwegen und Finnland bis nach Russland. Die ursprünglichen Sprachen der Samen sind mit dem der Finnischen und Ungarischen verwandt. Die Selbstbezeichnung Sámi, bedeutet so viel wie „Sumpfleute“. „Mindestens 20.000 Sámi leben heute in Schweden“, laut Angabe des Nordischen Museums in Stockholm. Die Samen waren von Anfang an Sammler, Fischer und Jäger, die unter anderem wilde Rentiere jagten. Später begannen sie damit, Rene zu zähmen und als Zug- oder Locktiere bei der Jagd einzusetzen. Im Laufe der Zeit gingen die Sámi dazu über, domestizierte Rentiere in kleinen Herden zu halten. In Schweden gibt es heute noch über 2000 aktive Züchter.

Viele Samen wandern auch gegenwärtig noch mit ihrer Herde.

Eine Sage der Sámi lautet so: Ein Junge geht zur Jagd und findet bei seiner Rückkehr Mutter, Vater und Schwester grausam ermordet. Während seiner Flucht, verletzen ihn die Tschuden, skrupellose, herummarodierende und äußerlich Wikingern ähnelnden Männer. Der Junge rettet sich auf Brettern, den Vorläufern der Skier, in die nächste Sida, ein Sámi-Jurten-Dorf.

Die Tochter des dortigen Schamanen, Noajde auf samisch genannt, pflegt ihn gesund und verliebt sich in ihn.

Der Rest der Sippe fürchtet, dass die Spuren des Jungen die Tschuden zu ihnen führt. Sie fliehen mit Rentierschlitten auf Brettern, über die Berge, ans Meer.

Sie fürchten den Kampf, denn Sámi waren nie Krieger.

Der Junge will bleiben und schwört Rache für seine ermordete Familie. Dem Schamanen erscheint ein weißes Rentier in einer Vision. Es ist das dritte Mal in seinem Leben und er bleibt. Er erklärt dem Jungen, dass seine Rachegelüste dessen Geist trüben. Er müsse sich als Teil des Großen, Ganzen sehen. Allein und auf Rache sinnend, sei er nicht besser als ein Tschude. Er erzählt, dass er die erste Vision des weißen Rentiers hatte, als er so alt war, wie der Junge jetzt. Beim zweiten Mal war er auf dem Höhepunkt seiner seherischen Fähigkeiten. Nun sei es ihm erschienen, als er dem Jungen begegnete. Dann überfallen die Tschuden sie. Sie foltern den Noajde, um den Aufenthaltsort der übrigen Samen zu erfahren. Doch dieser schweigt. Der Junge erträgt es nicht, wie dem Schamanen das Bein abgeschnitten wird.

Der Junge schlägt einen Deal vor: Er führt die Tschuden den einzigen Weg durch die Berge zum Meer und im Gegenzug lassen sie den Noajde am Leben.

Die Tuschden willigen ein und lassen sich zum Meer führen. Heimlich ermorden die Tschuden den Schamanen und nehmen dessen Talismane an sich. Als der Junge diese entdeckt, plant er die Seilschaft in den norwegischen Bergen in den Abgrund zu führen. Nur zufällig überlebt er dabei selbst und es erscheint ihm ein weißes Rentier in einer Vision. Die Sámi an der Küste beobachten den Tschuden-Treck in den Bergen und planen ihre Flucht. Sie malen sich einen Zwei-Tagesvorsprung aus, da die Tschuden zu Fuß und sie auf Brettern unterwegs sind. Dann sehen sie die Schneelawine, die alle in den Abgrund reißt und wissen die Tschuden vernichtet. Auch den Jungen und den Noajde glauben sie tot. Sie vermuten, dass der Junge seinen Wunsch nach Rache aufgab, um sich für sie zu opfern. Als dieser im Yurtendorf auftaucht, ernennen ihn die Sámi zum neuen Schamanen.

Fortan wurde der Sage nach, das Volk der Sámi nie wieder bekämpft.

Der Begriff Tschude wurde in der Sprache der Sámi mit „Russe, Finne und Schwede“ übersetzt. Heute bedeutet er „Feind“. Die Samen wurden verfolgt, ausgebeutet und misshandelt. „Ich bin mir der Unterdrückung bewusst, die Schweden im Laufe der Geschichte über das samische Volk ausgeübt hat. […] Es gibt auch keine andere Möglichkeit für die schwedische Gesellschaft, voranzukommen, als sich für diese Missbräuche zu entschuldigen“, sagte Annika Åhnberg, eine samische Ministerin 1998.
Mehr als die Hälfte der Sámi, lebt in Norwegen, am wenigsten finden sich in Russland. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Grenze zwischen Finnland und Schweden festgelegt und damit den Samen die freie Überquerung verboten.

Samische Familien wurden getrennt und die Rentiernomanden von ihren Weidegründen abgeschnitten...

Norwegen verbot Ende des 19. Jahrhunderts die samische Sprache. Land konnte nur derjenige besitzen, der Norwegisch sprach und schrieb. In Finnland galten die Sámi als primitiv und wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Noch heute schämen sich viele Sámi ihrer Herkunft. Bis ins 20. Jahrhundert wurden die Samen als „Lappen“ diffamiert und durften ihre Bräuche nicht pflegen. Jetzt ist die samische Sprache zwar nicht mehr verboten, doch in den meisten Ländern wird sie immer noch nicht offiziell anerkannt. Aus Angst davor, dass ihre Kinder im Kindergarten oder der Schule diskriminiert werden, sprechen viele Eltern zu Hause kein Samisch. So lernen die Kinder die Sprache nicht. Häufig widmen sie sich dann erst im Erwachsenenalter dem Erlernen. Aber da es auf staatlicher Ebene an finanzieller Unterstützung fehlt, verlernen auch viele Erwachsene die Sprache…

Flashback

Mongolei

Fotos: Kristoff Kühne

Mit beiden Händen greife ich in die dicke Wolle. Ich packe das Schaf hinter den Ohren am Nacken. Blitzschnell drehe ich das Tier und werfe es auf den Rücken. Der Schweiß rinnt mir über die Stirn. Mein Atem fließt ruhig. Geschickt ziehe ich das Messer aus dem Schaft, der an meinem Hosenbund befestigt ist. Ich führe die Klinge von einem Ohr des Schafes zum anderen. Unterhalb seines Kiefers. Blut tropft pulsierend in eine Schale, die ich zwischen Boden und Kopf des Tieres schiebe. Ich halte das Schaf auf meinem Schoss und blicke ihm in seine gelben Augen. Dann schaue ich auf und sehe in die braunen Augen meines Sohnes.

Ich habe das hundert Mal gemacht. Und immer gab es mir ein Gefühl der Ruhe, des Friedens, des Eins-Seins mit mir selbst, der Natur und Allah. Meine Familie lebte seit Generationen als Nomaden im Altai-Gebirge.

Die Sommer verbrachten wir in Jurten und zogen mit unseren Herden auf dem Hochplateau von Bergsteppe zu Bergsteppe. Die Planen für die Jurte, spannten wir auf einem Holzgerüst zu einer Art Zelt. Wir entschieden morgens, ob wir weiterziehen. Der Auf- und Abbau war schnell gemacht. In der Jurte lebte unsere ganze Familie mit mehreren Generationen. In der Mitte befand sich eine Feuerstelle zum Heizen und Kochen. An den Außenwänden standen geräumige Holzbetten, in denen mehrere Personen schliefen. Wir wärmten uns gegenseitig. Bevor ich laufen lernte, setzten mich meine Brüder vor sich, in den Sattel. Sie preschten stehend und im wilden Galopp durch das Altai-Gebirge. Im Alter von fünf Jahren stieß ich gellende Schreie aus, bevor ich selbst im Galopp davon ritt. Ich fing die Ziegen ein, die meine älteren Geschwister die Berge hinunter trieben, ins Tal, zu den Jurten. Sie riefen mir schon von weitem ihr fröhliches „Salam aleikum“ entgegen. Dann band ich die Ziegen zum Melken zusammen. Einen Kopf in Richtung der Jurte blickend, den nächsten in Richtung der Berge. Wenn die Tiere wegzurennen versuchten, blockierten sie sich gegenseitig. Das Melken war Frauensache. Ebenso das Aufziehen der verstoßen Jungtiere, mit der Flasche. Als ich acht Jahre alt wurde, bekam ich meine eigene Herde. Ich trieb sie in die Berge und abends zurück ins Tal. Ein paar Jahre später half ich meinen Brüdern beim Treiben der großen Schafsherden. Ich liebte das. Diese Freiheit. Den Kitzel der plötzlichen Gefahr. Wenn ohne Vorwarnung das Wetter umschlug und wir uns am Felsgrat eines 4000ers befanden. Im Sommer konnten wir über 40 Grad Celsius bekommen. In harten Wintern hatten wir den Dsud. Etwa alle zehn Jahre. Besonders viel Schnee fiel in solchen Wintern. Die Temperaturen lagen anschließend unter 40 Grad Minus. Die Herden fanden nicht genug Futter. Es kam zum Massensterben. Schneestürme ließen die Tiere den Halt verlieren und wegrutschen. Etliche stürzten die steilen Hänge in die Tiefe. Meine Hände wurden taub und konnten die Zügel kaum halten. Nur die besten Reiter und Pferde behaupteten sich hier. Meine Lungen krampften. Als ob sie sich weigern wollten, die brennend, kalte Luft einzuatmen. Meine Augen tränten und verengten sich ungewollt zu Schlitzen. Manches Mal mussten wir eine Notunterkunft aufschlagen. Wir bauten uns aus unseren bodenlangen Mänteln Zelte. Wir kauerten uns darunter aneinander, bis der Sturm vorüberzog. Anschließend zählten wir die Tiere. Wir aßen sie, fertigten Kleidung und Möbel aus ihnen. Die Abstände der Dsuds verkürzten sich. Viele Nomaden verbrachten die Winter in Verschlägen am Rande der Stadt.

Mein Sohn sieht mich mit einem seltsamen Ausdruck an. Da ist etwas in seinem Blick, das ich nicht erwartete. Eine Träne hängt, an seinen langen, dunklen Wimpern. Klar, das war absehbar. Aber da ist noch etwas. Ablehnend und sogar angewidert sieht mir mein Sohn entgegen. Ich stocke. Eine Sekunde zu lange, das Schaf zappelt und entzieht sich meinem Griff.

Zum Schlachten trieben wir die ganze Herde von den Bergen, im Galopp ins Tal. Das puschte die Tiere auf und ermüdete sie zugleich. Wir kannten den Zeitpunkt, an dem die Schafe eine Pause brauchten. Wir planten ihn immer direkt vor der Jurte. In diesem Augenblick trennten wir mit einer Handvoll Reitern, ein älteres oder schwächeres Tier vom Rest der Herde. Wir kreisten es ein. Die anderen Reiter trieben die Schafe weiter den Hang hinauf. Hinter der nächsten Kuppe, bekamen sie vom folgenden Geschehen nichts mit. Das getrennte Tier war zu erschöpft, um zu fliehen. Es blieb stehen. Jetzt hieß es schnell zu sein. Ich sprang vom Pferd, das ein anderer übernahm. Ich packte das Schaf hinter den Ohren im Nacken und warf es zu Boden. Das Schaf rührte sich nicht, wenn es auf dem Rücken lag. Blitzschnell zückte ich Messer und Schale. Als der Geschickteste, führte ich den Schnitt entlang der Kehle. Ich schaute dem Tier dabei in die Augen. Ich dachte immer, dass das Schaf mich verwundert ansehe. Es lag auf meinen Knien. Ich spürte seine Wärme. Ich streichelte seinen Kopf. Ich redete beruhigend auf das Tier ein. Ich glaubte zu spüren, dass der sterbende Körper sich dabei entspannte. Es dauerte Minuten bis das Schaf ausgeblutet war. Sie fühlten sich wie eine quälende Ewigkeit an. Mein eigenes Leben schien in diesen Momenten still zustehen. Ich fühlte ganz klar, was wichtig war und was nicht. Nie erlebte ich etwas Intensiveres. Das Tier wurde ohnmächtig. Die schönen gelben Augen drehten zur Seite. Dann fiel der Kopf. Der Puls schlug noch. Ich streichelte das Schaf weiter und redete mit ihm. Bis es tot war. Dann schnitten die Frauen den Bauch des Tieres auf. Sie entfernten die Gedärme und die Innereien. Es war wichtig, dass kein Tropfen Blut auf den Boden fiel. Alles musste sehr schnell gehen. Der Geruch lockte Adler und Wölfe an. Blut und Innereien pressten die Frauen in Därme zu Würsten. Dann zogen sie das Fell ab. Sie zerteilten das Schaf. Die Teile hängten sie in der Jurte ab. Die Knochen kochten sie aus. Danach bekamen sie die Hunde. Fell und Leder verarbeiteten sie zu Decken, Stühlen und Musikinstrumenten. Es blieb nichts übrig. Kein Fitzelchen. Das Schlachten der Tiere empfand ich als Höhepunkte meines Lebens. Ebenso, wie die Geburt der Lämmer, im Frühsommer, nach einem langen, harten Winter. Den Tod und die Geburt. Ich spürte dabei den Kreislauf des Lebens. Ich konnte die Unendlichkeit erahnen. Ich fühlte mich, so klein und unbedeutend ich auch war, als Teil eines großen Ganzen. Ich empfand eine tiefe Dankbarkeit und Demut vor diesem Kreislauf. Ich war glücklich. […]

Der vollständige Text erscheint in einem Buch.

Flashback – Mauritius

Du bist mein Zuhause

Als wir uns das erste Mal begegnen, bin ich 17, ein Mädchen. Wir tanzen zu “Ein Bett im Kornfeld”. Du bist begeistert, ich verunsichert. Tanzpause – ich sitze auf der Rückenlehne eines Sofas, du zu meinen Füßen. Lautstark unterhältst du dich mit deinen Kumpels. Meine Finger wollen in deine Locken greifen. Sie befinden sich direkt vor mir… Wir fahren mit meinen Freundinnen zusammen im Taxi nach Hause. Du bist großzügig und zahlst für alle, obwohl du als erster aussteigst. Du verliebst dich sofort in mich, sagst du später… Zumindest willst du mich wiedersehen. Du bist vier Jahre älter als ich und schon ein Mann.
Wir fahren zusammen in den Skiurlaub. Als Freunde. Ich kann mir vorstellen, mit dir zusammen zu wohnen. Wir fliegen nach Chile. Als Freunde. Du sagst, das Schönste der Reise sei, jeden Morgen neben mir aufzuwachen. Ich hole mir einen Bänderriss beim Wandern, du trägst mich Huckepack und unsere Rucksäcke vor der Brust. Ich weiß, dass du der Mann bist, mit dem ich Kinder will. Und renne weg. Du fängst mich ein. Wir ziehen zusammen.

https://youtube.com/shorts/2soPlBITbqo



Ein Zyklon fegt nachts über die Insel La Réunion. Er rüttelt heftig an dem Strohdach unserer Strandvilla. Regen trommelt wütend gegen die Fenster. Ich wühle mich durch Laken. Irgendwann falle ich in einen tiefen Schlaf. Ich erwache, die Sonne scheint. Ich fühle mich ruhig. Nie war etwas richtiger in meinem Leben, als das, was ich heute mache – dich heiraten. Ich raffe mein weißes Kleid mit Schleppe. Du wartest am Strand auf mich. Ich sehe auf meine nackten Füße. Du strahlst über dein ganzes Gesicht. Glück pocht in meinen Adern. Du bist gespannt bis in die Fußspitzen. Liebe strömt warm durch meinen Körper. Du läufst am Strand auf mich zu. Der Wind spielt in meinen Locken. Du sagst, ich sei die schönste Braut, die du je gesehen hast. Das Rosé meiner Wangen verrät meine Aufregung.
Wir halten uns an den Händen. Wir versprechen, uns für immer und für ewig zu lieben, aber mindestens ein Leben lang. Wir tauschen Ringe. Wir küssen uns. Wir heiraten auf Mauritius. Wir tanzen am Strand. Wir schwimmen im Meer.

Unsere Körper verstehen sich blind. Wir wünschen uns Kinder. Nichts strahlt für mich heller, als diese Liebe. Es gibt keine größere Verbindung für mich auf der Welt. Alles fühlt sich leicht, unbeschwert und glücklich an. Wir freuen uns, miteinander zu leben. Wir können es nicht erwarten, unser Baby im Arm zu halten. […]

Der vollständige Text erscheint mit meinen weiteren Kurzgeschichten in einem Buch.


Flashback – China

“Nǐ hǎo! Nǐ hǎo ma?“

Während China in vielen das Gefühl auslöst, es sei ein Land voller Wunder, unbegrenzter Möglichkeiten und Zukunftsvisionen, bedrückten mich meine beiden Aufenthalte eher. “Unsere Hintern sind zu breit, wir beide können definitiv nicht im Bus nebeneinander sitzen!” Beim ersten Mal reise ich tausende Kilometer mit meinem Professor und rund 20 Kommilitonen quer durchs Land. In Bussen, in Nachtzügen und mit dem Flugzeug. Wir Studenten feiern jeden Abend: “Wieso knutschen die alle miteinander? Ich kapiere es nicht! Die sind verlobt, wohnen mit ihren Freunden zusammen und die Mädels sind doch gar nicht lesbisch?” Wir staunen über das schillernde Shanghai und das traditionsreiche Peking. “Hast du denn schon einmal Pekingente gegessen, Anke?” Wir reisen entlang der schier endlosen Chinesischen Mauer und auf der orientalischen Seidenstraße. Ins spirituelle Tibet, mit Bettelmönchen in Gewand an Gebetsmühlen und zu den altehrwürdigen Tonkriegern. Dort treffen wir Boris Becker: “Entschuldigen sie bitte, dürften wir ein Foto mit ihnen machen?” In die staubige Wüste Gobi und ins majestätische Altai Gebirge. “Ich bin Vegetarierin, ich essen kein Fleisch! – Nein, nein, das ist kein Fleisch! Nur ein Hühnerfuß, der in der Suppe schwimmt. Kann man mitessen, aber auch einfach Beiseite legen.” Das zweite Mal bin ich für meine Diplomarbeit an der Tongji Universität in Shanghai. “Ihr seid Langnasen! Ihr habt so unglaublich hässliche Nasen, das gibt es gar nicht!”
Mütter arbeiten ganztägig in Fabriken, ohne Gesundheitsschutz und nehmen ihre kleinen Kinder mit. In einer Seidenfabrik lächelt mich ein etwa zweijähriges Mädchen mit großen dunklen Augen schüchtern an. Faire Löhne gibt es nicht. Auf dem Land sitzen die alten Greise, mit völlig verschrumpelter Haut auf der Straße und spielen. Sie winken mich heran, lachen mich zahnlos an und reden auf mich ein. In den Städten haben sich die traditionellen Familiensysteme mit der Modernisierung aufgelöst. Zwangsumsiedlungen, Ein-Kind-Familien und Behinderung der Meinungsfreiheit sind an der Tagesordnung. In Nordchina treffen wir auf eine chinesische Minderheit, deren Kinder weißblonde Haare und blaue Augen haben. Sie sind noch nie Menschen wie uns begegnet, kennen kein Fernsehen, keine Fotos oder Kameras. Sie scharen sich um uns und glauben, wir seien Chinesen, aus einem weit entlegenen Teil des Landes. Sie können nicht genug von unseren Kameras bekommen. Probleme mit Minderheiten, wie Buddhisten in Tibet, aber auch Muslimen im Norden, regelt die Regierung durch das Ansiedeln von Millionen Han-Chinesen, in den betreffenden Regionen. Die buddhistischen Mönche, in ihren leuchtend roten Gewändern, sind freundlich und aufgeschlossen, lassen sich aber nicht fotografieren. Sie glauben, dass ein Foto die Seele stiehlt. Die Landschaft, wie im tibetischen Hochland, ist wunderschön. Wir wandern auf 4000 Metern und die Mehrheit von uns wird Höhen krank, mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Atemlosigkeit… Die Menschen außerhalb der chinesischen Ballungsräume sind unvorstellbar arm. Hühner und schwarze Schweine wühlen im Müll auf den Straßen nach Essbarem. Viele staatliche Leistungen, wie medizinische Versorgung, Sozialhilfe oder die Erlaubnis die Familie nachkommen zu lassen, gelten für die Landbevölkerung nicht. Städte versinken im Smog. Die Leute auf der Straße kommen uns mit Atemschutzmasken entgegen. Rund ein Viertel der Treibhausgase weltweit, emissiert die Volksrepublik. Sie hat das Problem erkannt und will es anpacken. Dessen Erfolg oder Scheitern geht uns alle an! Es liegt auch an den westlichen Industrienationen, nachhaltig zu konsumieren und nicht auf das schnelle Wirtschaftswachstum zu setzen, das auf – aus Kohle generierter Energie basiert. In diesem Sinne: „Chénggōng hěnduō!“

Flashback – Chile

¡Con todo mi cariño a Saskita!

Meine Freundin arbeitet nach der Schule für ein Jahr, in einem Straßenkinderprojekt in Santiago de Chile. ¡Hola! ¿Qué tal? ¿Hablas español? Ich fliege sie in meinen ersten Semesterferien besuchen. Zum ersten Mal reise ich über den großen Teich. Zum ersten Mal bleibe ich für eine längere Zeit im Ausland – knapp zwei Monate. En el Estadio Monumental del Club Social y Deportivo Colo-Colo, avec Claudio, durante un partido de futbol contra la U. Ich will Spanisch lernen, habe vorher nichts organisiert und wundere mich, dass es vor Ort nicht so recht klappt. Pablo Neruda, Isabel Allende, wir tauschen Bücher. Ich küsse zum ersten Mal die Liebe meines Lebens auf der Fähre nach tierra del fuego – Feuerland. Musik und Tänze Lateinamerikas: Merengue, Salsa, Cumbia. 2000 Kilometer fahre ich im Bus und übernachte dort gleichzeitig. Wir kaufen nur die günstigsten Tickets. So mancher Sitz ist durchgeschlissen und eine Boxershorts, nach einer äußerst unbequemen Nacht, ebenfalls! Wir zelten am Fuße des Vulkans Osorno. Wir baden im See in Villarrica. Wir Schwimmen im Pazifik bei Viña del Mar. Wir besichtigen chutes – Wasserfälle. Und weil “die scheiß Badewannen” zu teuer sind, natürliche Becken, in denen man schwimmen kann, verzichten wir. In Puerto Montt und Puerto Natales nächtigen wir in hospedajes – Privatunterkünften. Die Menschen sind sehr gastfreundschaftlich und nehmen uns wie Familienmitglieder auf. Nur einmal haben wir richtig Pech und prellen in einem üblen Hostel die Zeche bei „Messer-Jocke“. Zwischen Schlafraum, mit rund 50 Betten und Nasszelle, in der ungefähr zehn Kloschüsseln ohne Trennwand nebeneinander stehen, gibt es nicht mal eine Tür zum Schließen. “¡Bon viaje!” Mehrere Tage wandere ich im Nationalpark Torres del Paine – zwischen den “Türmen des blauen Himmels”. Ich bestaune den Grey-Gletscher, höre ihn kalben und sehe, wie mächtige Eisblöcke in den Lago Grey brechen. Patagonien, Magellanstraße… Ich beobachte Pinguine aus nächster Nähe. Zum brüten suchen sie sich Höhlen. Die Ranger hängen ihnen daher eine Art Dach auf, das rundherum geschlossen ist. Dort gehen die Pinguine nur mit dem Kopf hinein. Sie wissen nicht, dass der Rest des Körpers sowie das Nest mit den Eiern herausschaut. Die Magellan-Pinguine sehen sehr putzig dabei aus. Zurück in Santiago, die letzten Wochen Alltag bei Patrizia. Mapuche – indigenes Volk Südamerikas, dass sich erfolgreich 300 Jahre den spanischen Kolonialisten zur Wehr setzte. ¡Feliz navidad mi amiga! ¡Muchas gracias para todo et un grande beso!