Flashback

China

“Nǐ hǎo! Nǐ hǎo ma?” Während China in vielen das Gefühl auslöst, es sei ein Land voller Wunder, unbegrenzter Möglichkeiten und Zukunftsvisionen, bedrückten mich meine beiden Aufenthalte eher. “Unsere Hintern sind zu breit, wir beide können definitiv nicht im Bus nebeneinander sitzen!” Beim ersten Mal reise ich tausende Kilometer mit meinem Professor und rund 20 Kommilitonen quer durchs Land. In Bussen, in Nachtzügen und mit dem Flugzeug. Wir Studenten feiern jeden Abend: “Wieso knutschen die alle miteinander? Ich kapiere es nicht! Die sind verlobt, wohnen mit ihren Freunden zusammen und die Mädels sind doch gar nicht lesbisch?” Wir staunen über das schillernde Shanghai und das traditionsreiche Peking. “Hast du denn schon einmal Pekingente gegessen, Anke?” Wir reisen entlang der schier endlosen Chinesischen Mauer und auf der orientalischen Seidenstraße. Ins spirituelle Tibet, mit Bettelmönchen in Gewand an Gebetsmühlen und zu den altehrwürdigen Tonkriegern. Dort treffen wir Boris Becker: “Entschuldigen sie bitte, dürften wir ein Foto mit ihnen machen?” In die staubige Wüste Gobi und ins majestätische Altai Gebirge. “Ich bin Vegetarierin, ich essen kein Fleisch! – Nein, nein, das ist kein Fleisch! Nur ein Hühnerfuß, der in der Suppe schwimmt. Kann man mitessen, aber auch einfach Beiseite legen.” Das zweite Mal bin ich für meine Diplomarbeit an der Tongji Universität in Shanghai. “Ihr seid Langnasen! Ihr habt so unglaublich hässliche Nasen, das gibt es gar nicht!”
Mütter arbeiten ganztägig in Fabriken, ohne Gesundheitsschutz und nehmen ihre kleinen Kinder mit. In einer Seidenfabrik lächelt mich ein etwa zweijähriges Mädchen mit großen dunklen Augen schüchtern an. Faire Löhne gibt es nicht. Auf dem Land sitzen die alten Greise, mit völlig verschrumpelter Haut auf der Straße und spielen. Sie winken mich heran, lachen mich zahnlos an und reden auf mich ein. In den Städten haben sich die traditionellen Familiensysteme mit der Modernisierung aufgelöst. Zwangsumsiedlungen, Ein-Kind-Familien und Behinderung der Meinungsfreiheit sind an der Tagesordnung. In Nordchina treffen wir auf eine chinesische Minderheit, deren Kinder weißblonde Haare und blaue Augen haben. Sie sind noch nie Menschen wie uns begegnet, kennen kein Fernsehen, keine Fotos oder Kameras. Sie scharen sich um uns und glauben, wir seien Chinesen, aus einem weit entlegenen Teil des Landes. Sie können nicht genug von unseren Kameras bekommen. Probleme mit Minderheiten, wie Buddhisten in Tibet, aber auch Muslimen im Norden, regelt die Regierung durch das Ansiedeln von Millionen Han-Chinesen, in den betreffenden Regionen. Die buddhistischen Mönche, in ihren leuchtend roten Gewändern, sind freundlich und aufgeschlossen, lassen sich aber nicht fotografieren. Sie glauben, dass ein Foto die Seele stiehlt. Die Landschaft, wie im tibetischen Hochland, ist wunderschön. Wir wandern auf 4000 Metern und die Mehrheit von uns wird Höhen krank, mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Atemlosigkeit… Die Menschen außerhalb der chinesischen Ballungsräume sind unvorstellbar arm. Hühner und schwarze Schweine wühlen im Müll auf den Straßen nach Essbarem. Viele staatliche Leistungen, wie medizinische Versorgung, Sozialhilfe oder die Erlaubnis die Familie nachkommen zu lassen, gelten für die Landbevölkerung nicht. Städte versinken im Smog. Die Leute auf der Straße kommen uns mit Atemschutzmasken entgegen. Rund ein Viertel der Treibhausgase weltweit, emissiert die Volksrepublik. Sie hat das Problem erkannt und will es anpacken. Dessen Erfolg oder Scheitern geht uns alle an! Es liegt auch an den westlichen Industrienationen, nachhaltig zu konsumieren und nicht auf das schnelle Wirtschaftswachstum zu setzen, das auf – aus Kohle generierter Energie basiert. In diesem Sinne: „Chénggōng hěnduō!“

Flashback

Chile

¡Con todo mi cariño a Saskita! Meine Freundin arbeitet nach der Schule für ein Jahr, in einem Straßenkinderprojekt in Santiago de Chile. ¡Hola! ¿Qué tal? ¿Hablas español? Ich fliege sie in meinen ersten Semesterferien besuchen. Zum ersten Mal reise ich über den großen Teich. Zum ersten Mal bleibe ich für eine längere Zeit im Ausland – knapp zwei Monate. En el Estadio Monumental del Club Social y Deportivo Colo-Colo, avec Claudio, durante un partido de futbol contra la U. Ich will Spanisch lernen, habe vorher nichts organisiert und wundere mich, dass es vor Ort nicht so recht klappt. Pablo Neruda, Isabel Allende, wir tauschen Bücher. Ich küsse zum ersten Mal die Liebe meines Lebens auf der Fähre nach tierra del fuego – Feuerland. Musik und Tänze Lateinamerikas: Merengue, Salsa, Cumbia. 2000 Kilometer fahre ich im Bus und übernachte dort gleichzeitig. Wir kaufen nur die günstigsten Tickets. So mancher Sitz ist durchgeschlissen und eine Boxershorts, nach einer äußerst unbequemen Nacht, ebenfalls! Wir zelten am Fuße des Vulkans Osorno. Wir baden im See in Villarrica. Wir Schwimmen im Pazifik bei Viña del Mar. Wir besichtigen chutes – Wasserfälle. Und weil “die scheiß Badewannen” zu teuer sind, natürliche Becken, in denen man schwimmen kann, verzichten wir. In Puerto Montt und Puerto Natales nächtigen wir in hospedajes – Privatunterkünften. Die Menschen sind sehr gastfreundschaftlich und nehmen uns wie Familienmitglieder auf. Nur einmal haben wir richtig Pech und prellen in einem üblen Hostel die Zeche bei „Messer-Jocke“. Zwischen Schlafraum, mit rund 50 Betten und Nasszelle, in der ungefähr zehn Kloschüsseln ohne Trennwand nebeneinander stehen, gibt es nicht mal eine Tür zum Schließen. “¡Bon viaje!” Mehrere Tage wandere ich im Nationalpark Torres del Paine – zwischen den “Türmen des blauen Himmels”. Ich bestaune den Grey-Gletscher, höre ihn kalben und sehe, wie mächtige Eisblöcke in den Lago Grey brechen. Patagonien, Magellanstraße… Ich beobachte Pinguine aus nächster Nähe. Zum brüten suchen sie sich Höhlen. Die Ranger hängen ihnen daher eine Art Dach auf, das rundherum geschlossen ist. Dort gehen die Pinguine nur mit dem Kopf hinein. Sie wissen nicht, dass der Rest des Körpers sowie das Nest mit den Eiern herausschaut. Die Magellan-Pinguine sehen sehr putzig dabei aus. Zurück in Santiago, die letzten Wochen Alltag bei Patrizia. Mapuche – indigenes Volk Südamerikas, dass sich erfolgreich 300 Jahre den spanischen Kolonialisten zur Wehr setzte. ¡Feliz navidad mi amiga! ¡Muchas gracias para todo et un grande beso!