Kindermund tut Wahrheit kund oder…

… wundert sich über die Polizei!

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„Mama, warum sind Polizisten so gemein?“ Ich bin in Gedanken versunken und antworte: „Mhhhmmm“. „So gemein!“, empört sich meine sechs-jährige Tochter neben mir. Diesmal wende ich ihr den Kopf zu, um an ihrem Gesicht ablesen zu können, ob ich bei etwas einzuschreiten habe. „Warum haben sie uns Papa nicht einfach ins Krankenhaus bringen lassen?“, die Stirn ihres kleinen Gesichtchens ist von Runzeln durchfurcht, ihr Mund steht offen. Sofort bin ich bei ihr. „Ich hätte nicht mit Spikes fahren dürfen, das ist in Deutschland verboten! Anders als in Schweden und Norwegen…“, antworte ich ihr. Ich ziehe sie in meine Arme und streichle ihr über den Kopf. „Papa ist jetzt in Sicherheit!“, beteure ich und küsse ihre Runzeln von der Stirn. Meine Jungs begrüßen in diesem Moment mit großem Jubel den ADAC-Abschleppwagen, der die Zollschranke passiert.
Mein Mann schnitt sich an der rechten Hand im Urlaub in Schweden, an einem zerbrochenen Glas bei Abwaschen. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, trotzdem Kinder-Popos abzuwischen, im Babyplanschbecken abzutauchen – in dem nicht nur Gummitiere herumschwimmen – sowie das Plumpsklo unserer Hütte zu sanieren. Nach ein paar Tagen ist seine Hand auf beachtliche Größe angeschwollen, hat eine ungesund rote Farbe angenommen und sabscht. Für mich ein Grund zum Arzt zu gehen, aber wir müssten ins nächstgelegene Städtchen eine Dreiviertel-Stunde fahren und das hält mein Mann für übertrieben. Da wie am nächsten Tag abreisen, überredet er mich, gleich in Deutschland zum Arzt zu gehen. Pünktlich nach Ablegen der Fähre in Norwegen, bekommt mein Mann starkes Fieber und Schüttelfrost. Da wir am Wochenende ankommen, steht für mich fest, dass ich ihn direkt ins Krankenhaus fahre. Ich rolle am nächsten Tag, mit meinem gefühlt halbtoten Mann auf dem Beifahrersitz, von der Fähre. Die Hand ist inzwischen auf doppelte Größe angeschwollen, ein roter Streifen ist den Arm hinauf bis zur Schulter gekrochen und die Lymphknoten in der Achsel schmerzen. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn, das Fieber schüttelt ihn immer durch, mit fast 40 Grad. Ich mache Krach beim Rollen von der Rampe des Schiffes. Ich fahre Spikes, das sind Reifen mit Nadeln gespickt, die sich auf den Straßen mit blankem Eis, im Niemandsland zwischen Norwegen und Schweden, tief hineinkrallen und so Sicherheit bringen. Sie sind in beiden Ländern erlaubt und wer ohne sie fährt ist lebensmüde (Es sei denn er verfügt über einen Vierradantrieb, bleibt auf den Hauptstraßen und nimmt dafür größere Umwege, gerne auch mal mit Hotelübernachtung, in Kauf). Ich weiß, dass Spikes in Deutschland verboten sind und rechne damit, falls ich erwischt werde, ein Bußgeld von 40 Euro zu erhalten und noch nach Hause fahren zu können, schließlich kann ich ja nicht fliegen! „Nein! Sie können die Spikes ziehen oder der Wagen ist stillgelegt“, sagt mir ein alter Bulle mit zusammengezogenen Augenbrauen und grimmiger Visage durchs Seitenfenster ins Gesicht. „Aber, mein Mann hat eine Blutvergiftung und muss ins Krankenhaus, kann ich ihn nicht noch wenigstens kurz dort hinfahren? Die Spikes kann man leider nicht ziehen, sie sind fest in den Reifen verbaut“, versuche ich es kooperativ. „Nein, das ist nicht mein Problem. Sie machen die Straße kaputt und dürfen keinen Meter weiterfahren!“, entgegnet er bellend. „Welcome back to Germany!“ Norweger, warum seid ihr nicht in der EU, um mich genau vor solchen deutschen Grenzbeamten zu schützen? Jetzt plärren die Kinder auf der Rückbank: „Mama, warum fahren wir nicht weiter? Papa muss doch sofort ins Krankenhaus!“ Der Zöllner zeigt sich weiter unbeeindruckt: „Dann rufen sie einen Krankenwagen.“ Sicher, mir bleibt ja nichts anderes übrig! Aber das erschreckt meine Kinder. Außerdem könnte ich zwar mitfahren, aber nicht noch unsere drei Kleinen. „Was? Ein Krankenwageneinsatz ist teurer, als ein bisschen Spuren im Straßenbelag durch Spikes“, blafft es mich am anderen Ende der Leitung an, nachdem ich die 112 gewählt habe. „Dankeschön! Wollen sie mal mit dem Beamten sprechen?“, frage ich. Wenig später kommt der Krankenwagen und meine Kinder weinen wie erwartet: „Papa! Mein Papa! Papa soll nicht ins Krankenhaus fahren!“ Ich versuche derweil eine Werkstatt in Kiel ausfindig zu machen, die mir die Reifen wechselt, vergeblich! Keine Werkstatt will die Reifen vor Ort wechseln und ich darf ja nicht fahren… Der ADAC macht mir ein Angebot für knapp 600 Euro, das Auto und mich mit den Kindern nach Hamburg einzuschleppen. „Junge Frau, sie können hier nicht stehen bleiben!“, macht mich mein Freund und Helfer noch mal aufmerksam. Auf einmal scheint das Angebot des ADAC ein Schnäppchen zu sein. Und tatsächlich ändert sich die Laune meiner Kinder beim Eintreffen des Abschleppwagens augenblicklich und ich möchte dem netten Matthias, der mir seine warme Hand reicht, am liebsten um den Hals fallen. Er versichert mir, sich um mich und meine Kinder zu kümmern und das ab jetzt alles gut sei. Trotz Antibiotika-Tropf, verschlechtert sich der Zustand meines Mannes rapide während der folgenden vier Stunden, bis zur OP. Der diensthabende Arzt bemerkt trocken: „Auch, wenn Männer nicht gerne zum Arzt gehen, kann man wegen so etwas schon mal ein bisschen früher vorbeikommen! Sonst macht man auch einfach mal die Grätsche.“ Michael, im leuchtend gelben Ganzkörper-Sicherheitsanzug, rockt das Zollgelände und dann fahren wir zwei Stunden mit Tempo 80 über die Autobahn nach Hamburg. Wir halten unterwegs an, Michael findet, dass ein Pipi-Stop für die Kinder und einkaufen im Tankstellen-Shop mit Getränken und Keksen im Preis inbegriffen sei. Anschließend lotse ich ihn durch Hamburg, indem ich enge Straßen und Brücken zu vermeiden versuche. Sehr zum Vergnügen der Kinder stoppt er noch mal mit Warnleuchte, damit ich Geld holen kann, um seine Rechnung zu bezahlen. Dann fährt er ohne Bedenken mit Spikes auf Hamburger Straßen mein Auto. Er meint, er hätte es noch nie erlebt, dass jemand wegen Spikes das Auto stillgelegt bekommen habe. Er glaubt, es liege im Ermessensspielraum der Polizei. Dann verabschiedet er sich mit den Worten: “Auch unter diesen Umständen, war es schön, deine Kinder und dich kennengelernt zu haben, Anke!“ Zwei Tage später wechselt ein Freund zum Glück auf unserem Grundstück die Reifen und ich brauche nicht länger mit der Bahn in die Uni-Klinik nach Kiel zu fahren. Für unsere Kinder ist er der Held, für mich auch! Meine Tochter hat vor Schulbeginn ein Sicherheitstraining bei den „Verkehrsfüchsen“ der Hamburger Polizei für Schulanfänger absolviert und räumt ein: „Mama, Verkehrspolizisten sind aber sehr nett!“

2 Kommentare zu „Kindermund tut Wahrheit kund oder…“

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