…und ist allein unterwegs!

Sie hegen Mordgelüste! Nachdem meine Kinder monatelang nicht in Schule, Kindergarten, beim Sport, bei Freunden oder auf Spielplätzen waren, wollen sie sich gegenseitig umbringen. Wer könnte es ihnen verübeln? Auch ich habe so meine Phantasien…
In den Augen meines Jüngsten sehe ich ein gefährliches Funkeln, als er einen Hammer wie eine Axt über seinem Kopf hält, vor ihm der Blondschopf seines Bruders. Danke, ja, ich weiß, dass Hammer nicht in Kinderhände gehören! Aber jüngst geschehen die unerklärlichsten Dinge… Kurz darauf schneidet das vermeintlich sanftmütigere Kind, welches nur knapp dem Anschlag entging, Rosen. Nein, auch dafür habe ich keine vernünftige Erklärung. Es dreht sich mit der Gartenschere in der Hand scharf nach rechts, um sich dem Durchtrennen der Finger seiner Schwester zu widmen. Meine vernünftige große Tochter klettert nach dem Schock entspannt im Trapez. Plötzlich tritt sie, wie eine Ninja-Kämpferin, beiden Brüdern gleichzeitig in den Bauch. Ich muss die Kinder konsequent trennen! Sonst ist es nur noch eine Frage der Zeit, falls es eines erwischt!
Zunächst erkunden wir Hamburgs Umgebung. Es ist erstaunlich, was für tolle Wälder es gibt. In Hamburg geboren und aufgewachsen, sind sie mir fremd! Es riecht wie in Schweden. Es sieht aus wie in Kanada. Sie müssen neu gewachsenen sein! Ich vermute, diesen Frühling…

An einen gemeinsamen Urlaub ist diesen Sommer nicht zu denken! Ich fahre mit meinem Blondschopf nach St. Peter-Ording. Er ist wie ausgewechselt: friedlich, glücklich und kuschelig. Wir schmusen den ganzen Tag, schlemmen ständig auf unserem Balkon, malen und spielen Schokohexe. Wüsste ich es nicht besser, meinte ich, es sei ein anderes Kind. Ich bin ganz verliebt in meinen Kleinen!
Mein Mann wählt die Abenteuervariante mit Übernachten im Strandkorb für unsere Große. Sie fahren mit Rädern auf die Fähre nach Föhr und machen ihre erste kleine Radtour ans andere Ende der Insel. Sie müssen mit dem klar kommen, was auf den Gepäckträger passt. Es ist ein großes Abenteuer für meine plötzlich noch mal ganz kleine Tochter. Sie schlafen direkt unterm Sternenhimmel, sehen die Milchstraße, Sternschnuppen und einen Kometen. „Papa, darf man sich wirklich bei jeder Sternschnuppe etwas wünschen?“, fragt sie verlegen. Sie sehen Fledermäuse in ganz klein und ganz groß und kuscheln sich tief in ihren Schlafsack.
Im Urlaub mit meinem Jüngsten an der Ostsee, erlebe ich ihn unkonzentriert, ungeduldig und schnell aggressiv werdend. Wir kommen am besten erstmal an! Ich staune, wie ausdauernd er Rad fährt. Dazu kommt es normalerweise nicht, weil seine Schwester und sein Bruder nicht so lange durchhalten. Ohne Tränen steht er sofort wieder auf, wenn er stürzt. Da sein Bruder die größte Heulboje ist, die mir je begegnete und mein Augenmerk normalerweise dem Ausschalten der Sirene gilt, fällt es mir sonst nicht groß auf. Am zweiten Tag ist mein Lütter laut, rüpelig und überhört jedes Stopp, ich bin genervt. Wie mutig mein Kleiner im Allgemeinen alles angeht, ist mir zwar bekannt, allerdings habe ich meist im Fokus, dass seine Geschwister ihn immer vorschicken. Ich finde das sonst gemein. Im Restaurant winkt er nun den Kellner heran und fragt formvollendet: „Kann ich bitte noch etwas Ketchup bekommen?“ Mein Herz geht auf. Tags darauf wieder Rückschläge: nichts ist ihm recht, wir streiten ständig, er trotzt: „Ich will zu Papa, sofort!“ Ist dieser kleine Wutkopf wirklich mein Kind? Ich bin kurz davor, überstürzt abzureisen. Als wir auschecken wollen, sagt uns der freundliche junge Mann am Empfang: „Ihr habt aber noch eine Nacht!“ Es muss nicht harmonisch, perfekt und erholsam sein, muntere ich mich auf. Dass wir uns ziemlich weit von diesem Idealzustand entfernt befinden, verschweige ich mir lieber. Hauptsache wir verbringen Zeit miteinander. Am anderen Morgen ist mein Jüngster wie ausgewechselt. Wir gehen schon vorm Frühstück schwimmen, scherzen den ganzen Tag und bauen eine so schöne Sandburg, dass uns andere Kinder fragen, ob sie mitspielen können. Mein Lütter zeigt sich gönnerhaft. Ich denke: Alles braucht seine Zeit und gut, dass mal nur wir beide allein unterwegs sind!
Ich hätte mir schönere Umstände. gewünscht, die zu unserem Experiment führten. Aber ich kann jedem mit mehreren Kindern nur empfehlen, mal nur mit einem zu verreisen! Es ist erstaunlich, wie erholsam es sein kann oder wie frisch verliebt man in das eigene Kind ist und welche ganz neunen Seiten man auf einmal entdeckt, auch an sich selbst. In diesem Sinne: Ahoi und auf in neue Gewässer!