Vom Traum zur Reise
Auf einer Farm zu arbeiten, im Niemandsland Westkanadas, scheint ganz plötzlich unglaublich attraktiv. Auch der Gedanke, sich den Inlandflug zu (er-)sparen und den Kontinent mit dem Auto über den Trans-Kanada-Highway zu queren, wirkt auf einmal spannend. Wie konnten wir nur so ignorant sein und mehrere Tage Fahrt durch Wald und Wald und Wald nicht reizvoll finden? Erst der Blick auf die Landkarte, nein ich gebe es ja zu, erst die Eingabe beim führenden Online-Kartenanbieter, gibt mir Aufschluss darüber, dass der Trans-Kanada Highway von Ost nach West, DREIMAL so lang ist, wie die Route 66 in den USA! Doch, ich habe im Erdkunde-Leistungskurs aufgepasst. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Westen Kanadas zu streichen. Ich weiß nicht, wie ich das meinem Mann beichte. Er liebt die Rocky Mountains, seit er sie mit seinen drei besten Kumpels vor 20 Jahren erkundete. Ich kann ihm sagen, dass sich seitdem viel getan habe und die Rockies bestimmt nicht mehr die Alten sind. Er ist es ja auch nicht. Das Dosenbier zum Frühstück, trinkt er zum Beispiel nicht mehr. Ich kenne das ja selbst, dass man sich früher so manch eine Liebe schön getrunken hat…
Also bereisen wir nur den Osten. Wie langweilig. Aber das „Schön-Trinken“ ist mit kleinen Kindern definitiv keine Option! Gut, erstmal storniere ich alle noch so hübschen Hütten, ganz gleich ob sie sich Chalet oder Cottage schimpfen. Die Übernachtungen in einem der berühmtesten Leuchttürme der kanadischen Ostküste – ja, ich weiß, es gibt unzählige – reduziere ich auf eine einzige. Ich bringe es nicht übers Herz, meiner kleinen Tochter, die sich seit langem auf ihre erste Übernachtung im Leuchtturm freut, dieses Erlebnis zu nehmen. War ich selbst schon Erwachsen, als sich für mich dieser Traum während meines freiwilligen Dienstes im Wattenmeer endlich erfüllte. Und sie zählt zu einer meiner schönsten Nächte – derer, die ich allein verbrachte natürlich!
Die liebenswerte junge Dame aus dem Reisebüro beteuert, dass es für Kinder viel beruhigender sei, wenn sie immer in der gleichen Unterkunft schliefen: in einem Wohnmobil. Und dass die günstigen, staatlichen Campingplätze landschaftlich deutlich reizvoller lägen, als die mit Full Service, sprich Stromanschluss, Wasserzufuhr und Entsorgungsmöglichkeiten. Zudem bekomme man auf staatlichen Campingplätzen selbst in der Hauptsaison, ohne Reservierung einen Platz. Wen wundert’s? Denke ich mir. Den Osten ganz gründlich und in Ruhe zu bereisen, das könne sie sich sehr gut vorstellen! Sie wisse zwar gerade auch nicht en détail, wo wir Halt machen könnten, aber das läge nur daran, dass sie bisher immer im Westen Kanadas unterwegs war. Wieso denn bloß? Diese Neugier behalte ich besser für mich. Die Antwort würde mir bestimmt die Reise verderben. Sie sucht uns dann ein Angebot für ein Wohnmobil ab Toronto, für drei Monate raus, das günstiger ist, als wenn wir im Westen zur Hauptsaison für vier Wochen herumführen. Dazu ist das Wohnmobil noch um einiges größer. Das tröstet meinen Mann bestimmt, mir macht es eher Angst. Sie rät mir nicht direkt, denn das würde ihr Ärger einhandeln, also unter der Hand, dass sie den billigsten Flug nicht bekommen könne, ich aber bestimmt. Das Hotel in Toronto bei unserer Ankunft, sei mit vier Nächten für 1000 Euro auch recht teuer. Das läge jedoch daran, dass sie nur ein Hotel für fünf Personen buchen könne. Sie zieht eine Augenbraue hoch und schaut mich vielsagend an. Ich begreife und denke mir, dass ich als Privatperson einfach eines meiner drei Kinder „verschwinden lasse“. Und dann gibt sie uns noch einen Toaster und zwei Camping-SESSEL gratis mit dazu. Sie muss unglaubliches Mitleid mit uns haben. Diese junge Frau hat ihr Herz definitiv am rechten Platz. Und, das wichtigste: Sie hat es geschafft! Vom Traum zur Reise. Und dafür bin ich ihr bis in alle Zeiten dankbar!