Go for it!

Nova Scotia, Bay of Fundy und Haut an Haut mit Campern

Lykka und ich mit Gebiss

Wir fahren nach Prince Edward Island in den Nationalpark und sind enttäuscht. Tatsächlich ist die Insel so ganz anders, als alles, was wir bisher in Kanada sahen. Rote Erde und Kartoffeläckern so weit wir schauen. Dazu „Anne-of-Green-Gables-Nostalgie“ an jeder Ecke und Holzleuchttürme auf jedem Felsen. Über 100 Leuchtfeuer finden sich auf der Insel. Der Sand des Strandes ist ebenfalls rot. Prince Edward Island ist dicht besiedelt, es gibt keine Wildnis und keine größeren Tiere. Der Campingplatz im Nationalpark ist eng und brechend voll. Am Strand liegen wir Handtuch an Handtuch. Das Meer gibt eine Stehparty. Meine Tochter reißt mich aus meinem Dichte-Stress: „Mama, ist eine Krabbe die Frau vom Krebs?“
In Nova Scotia erinnert die Landschaft an die der Schären in Schweden und Finnland. Mit ihren tiefen, blauen Fjorden und den darin verstreuten, kleinen Drumlin-Inselchen, die eiszeitlich bedingt sind. Fischerbötchen schunkeln schmuck auf dem Wasser, Flechten und Moose bewachsen die schroffen, felsigen Ufer. Nova Scotia ist mindestens so dicht besiedelt wie Prince Edward Island, von Wildnis daher keine Spur.
Der Fundy Nationalpark in New Brunswick ist – wir hätten es kaum für möglich gehalten – noch voller und gleicht eher einem Freizeitpark: Golf, Tennis, Schwimmbad! Sehr zum Vergnügen unserer Kinder. Die Seen sind überfüllt mit Kajaks, Mountenbiker machen alle Wege unsicher, wir wandern im Lindwurm. Inzwischen ist es so heiß, dass sich die Mücken- und Insektenpopulation frei entfalten konnte. Ich bin zerstochen, verbeult sowie mit blutigen Cuts übersät und gleiche einem Boxer nach der neunten Runde. Über unsere Campsite pilgert ununterbrochen ein Strom an Menschen zu den Sanitären Einrichtungen.
Jetzt, da wir uns Haut an Haut mit den anderen Campern fühlen, lassen sich ihre Schrullen nicht mehr übersehen. Sofort, nachdem der Outdoor-Fan angekommen ist, macht er sich daran, seine winzige Parzelle zu bezwingen. Er legt einen Plastikteppich vor die Tür, spannt die Wäscheleine und bestückt sie mit Handtüchern, um sich vor neugierigen Blicken der Nachbarn zu schützen. Dann schaltet der Wohnmobilfahrer den Generator für die Stromerzeugung ein, damit die Klimaanlage funktioniert. Durch den Krach fühlen sich Nachbarn belästigt und revanchieren sich, wenn der Übeltäter es sich am Lagerfeuer gemütlich macht. Ein ständiges lautes Brummen ist auf dem Campingplatz zu vernehmen und schallt noch weit darüber hinaus. Da der Generator schon mal läuft, knipst der Naturbursche auch gleich den Fernseher an, schließlich gilt es Informationen über umliegende Waldbrände einzuholen. Es kommt eine zweckdienliche Plastikdecke auf die Holztisch-Sitzbank, darüber wird eine Kunststoffplane zum Schutz vor Regen gespannt. Der Blick in die Bäume ist selbst mit bester Absicht unmöglich. Dann stellt der Campende sogleich allerhand Gerät in den „Garten“. Da gibt es riesige Grillanlagen, Regale für das Grillzubehör und Schaukelstühle. Campingsessel im Dutzend, falls mal jemand zu Besuch kommt und mobile Zäune, damit möglichst niemand zu Besuch kommt. Es finden sich Fuhrparks mit Mountainbikes, Kajaks und Scootern, letztere für die kurze Ausfahrt. Schilder mit Sprüchen, wie „Life is a beach“ zieren den Eingang zur Parzelle. Dazu passend montiert der Outdoorfreak eine Gummipalme und stellt eine blaue Plastikwanne davor. Bei Wettervorhersage mit Regen baut er rechtzeitig alles wieder ab, um es danach wieder aufzubauen. Somit sind die ersten Tage gefüllt. Naturburschen lassen ihren Tag abends gerne ausklingen, indem sie hingebungsvoll 80er Jahre Medleys schmettern. So ziemlich jeder hat einen Hund und führt diesen mehrmals täglich Gassi. Nein, nicht in der wunderschönen Natur um den Campingplatz herum, sondern AUF diesem. Das Tier hebt sein Bein an unserer Parzelle zum Schiffen und Herrchen oder Frauchen, ist begeistert über sein süßes Hündchen. Selbst dann noch, wenn es die Ausmaße eines Kalbes annimmt und sich das Gesicht unserer Kinder auf Höhe der sabbernden Schnauze befindet. Die Hundebesitzer beginnen einen lustigen Smal talk, über das Wetter, die Reiseroute oder die gefährlichen Tiere des Nationalparks. Oh super, das gute Tier hat einen Haufen gemacht, während wir essen. Ist ja nicht schlimm, Herrchen oder Frauchen ist gut ausgerüstet und sammelt es schnell mit dem Plastiksack ein. Mahlzeit und bis später dann.
Die begeisterten Wohnmobilfahrer sind meist übergewichtig, was sie keineswegs davon abhält, sich in enge und ultrakurze Höschen zu zwängen, ist ja schließlich Sommer. So ein leckeres Würstchen ist ein gefundenes Fressen für Insekten aller Art. Nach dem Einsprayen mit Sonnencreme, für dass ich äußerst dankbar bin, denn selbst wenn es windstill ist, brauche ich mir danach keine Sorgen mehr zu machen, dass meine Kinder verbrennen, gibt’s Insektenabwehrmittel. Sie enthalten nahezu alle das Biozid Diethyltoluamid (DEET) und können Allergien sowie epileptische Anfälle auslösen. Die US-Army entwickelte DEET in den 1940er Jahren für Einsätze im Dschungel. Aber den kurzen Sommer will sich niemand versauen lassen. Meine Tochter wendet ein: „Mama, warum ziehen sich die Leute nicht einfach etwas Langärmliges, einen Hut und Schuhe an?“
Falls sich der Outdoorfreak während seines Aufenthaltes doch einmal von seinem schönen Platz wegbewegt, rund einmal die Woche, tut er dies nie ohne Wanderstöcke, selbst im flachen Gelände. Dazu begleitet ihn lautes Gebimmel zahlreicher Bärenglocken, auch die Hunde sind damit ausgerüstet. Er trägt ein vollständiges Sportoutfit und wer dachte, knapper geht es im Hinblick auf Klamotten nicht, der hat sich getäuscht. Denn jetzt wird das komplett oberkörperfreie Sport-Bustier angezogen. Zur besseren Blutzirkulation gibt es farbenprächtige Stützstrümpfe, die zünftig bis zum Knie reichen und die fleischigen Waden optimal in Szene setzen. Gleichzeitig übernehmen sie die Funktion von Nebelschlusslichtern, falls der Lindwurm einmal schlechtwetterbedingt abreißt. Wanderstiefel, wie wir Dinosaurier sie tragen, sind out! Es werden Crosscountry-Turnschuhe getragen, ebenfalls in schrillen Farben. Ein Daypack auf dem Rücken, mit Wasserleitung zum Mund, versorgt den Sportler, denn aufgepasst: es wird gerannt! Ja, schnaufend und schwitzend, rot sowie glänzend erklimmt die neue Generation den Berg nicht old styl wie wir, also wandernd, sondern rennend. Hinter der nächsten Biegung treffen wir die Überholenden dann meist völlig erschöpft, nach Atem ringend am Wegesrand sitzend und die Tour ist vorbei.
In jedem Nationalpark warnt die Verwaltung vor dem gefährlichsten Tier. Das ist mal die Zecke und dann wieder der Bär. Einige bilden sich auch ein, es gäbe im Osten Berglöwen. Die Nationalparks fragen danach auf ihrer Watch-list, in die jeder Besucher Ort und Datum sowie das jeweils gesichtete Tier einträgt. Wir haben alle wissenschaftlichen Quellen recherchiert, weil es uns interessiert. Es gibt im Osten keine Berglöwen! Lediglich sehr selten, illegal ausgesetzte Tiere aus Lateinamerika. Aber die Leute behaupten, der Berglöwe sei im Osten zu Hause und sie hätten ihn gesehen.
Die Nationalpark-Zeitung liefert diesen wertvollen Tipp für Gewitter: „Wenn Ihnen die Haare zu Berge stehen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie elektrisch aufgeladen sind und der Blitz kurz davor ist, in Sie einzuschlagen.“ So schnell man kann, gilt es dann alle Metallgegenstände abzuschmeißen, sich breitbeinig hinzuhocken und zur Kugel zu krümmen… Gut, dass wir uns Haut an Haut mit anderen Campern befinden, da ist die Chance doch recht gering und die Haare stehen uns wahrscheinlich aus anderen Gründen zu Berge!

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