Erzählung

Mutter

„Akwaaba!“ „Wose? Ka yo bio?“ ƐnyƐ hwee!“ Große, fast schwarze Augen schauen mich an. Freundlich, beinahe sanft ruhen sie auf mir. Der Mund formt ein geduldiges Lächeln. Die Haare sind eng am Kopf geflochten. Die Frau ist groß, genauso groß wie ich. Sie trägt ein farbenfrohes Kleid, das hinunter bis zu ihren Füßen reicht, die in Flipflops stecken. Auf dem Kopf balanciert sie einen Topf mit Wasser. Um die Brust hat sie ein Tuch gewickelt. Daraus schauen an ihrer Taille winzige rosafarbene Füßchen hervor. Mein Herz kribbelt vor Glück. Sie bemerkt es vor mir. Ihre Hände greifen hinter ihren Rücken nach dem Baby. Seine Augen schauen ebenso so sanft, wie die seiner Mutter. Sie fragt, ob sie mich berühren dürfe, sie habe noch nie weiße Haut angefasst. Ich nicke. Sie streichelt mich. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass die Berührung einer fremden Frau so angenehm sein kann. Sie fragt mich, ob ihr Baby mich anfassen dürfe. Ich nicke wieder. Sie nimmt die winzige Hand in ihre, spricht leise ein paar Worte, singt sie eigentlich eher und führt die Fingerchen auf meinem Arm auf und ab. Das Baby quietscht vergnügt. Ein warmes Lachen fließt aus mir. Bin das wirklich ich? Immer mehr Mütter umringen uns, auf dem Rücken ihre Babys tragend, auf dem Kopf Körbe mit Brot oder Wannen mit Wäsche oder Töpfe mit Fufu. Die fremde Frau hält mir ihr Baby hin, damit ich es auf den Arm nehmen kann. Ich erwarte, dass es anfängt zu weinen, sobald es von seiner Mutter getrennt ist. So kenne ich es aus Deutschland. Aber das Baby schaut mich nur neugierig an. Ein Gefühl tiefer Liebe durchströmt mich. Die Mutter lacht mir zu und fragt, ob sie meine Haare anfassen könne. Natürlich! So weich, findet sie die. Sie nimmt die Hand ihres Babys, ich senke den Kopf. Das Baby zieht an meinen Haaren und gluckst vergnügt. Akwaaba, fühle ich auf meiner Haut. Akwaaba, höre ich im Lachen. Akwaaba, rieche ich im Duft der orangefarbenen Erde. Akwaaba, schmecke ich im Fufu. Akwaaba, sehe ich in den Gesichtern.

Als wir uns das erste Mal begegnen, ist sie mir unsympathisch. Sie ist übergewichtig, schmatzt lustlos auf einem Kaugummi, schaut gelangweilt weg, wenn ich ihr etwas erkläre. Antwortet: „Ye, ye“, wenn ich sie etwas frage. Von sich aus sagt sie nichts. Ich bin völlig verunsichert. Ich brauche dringend Hilfe. Anfangs kommt sie vier Stunden. Küche und Bäder putzen, saugen, wischen. Die Zeit reicht nicht. Ich denke, sie ist langsam. Ich einige mich mit ihr darauf, dass sie wöchentlich im Wechsel Erdgeschoss und den ersten Stock reinigt. Das kommt mir zu pass, da ich nicht alles auf einmal aufräumen muss. Ich arbeite selbständig, meist von Zuhause. So habe ich meine Ruhe, dort, wo sie gerade nicht werkelt. Wir sprechen nicht miteinander. Es ist mir unangenehm, dass sie mein Bett nach einer Liebesnacht neu bezieht, den Eimer mit Damenbinden leert, mein „Gebiss“, wie ich meine Plastikschiene zum nächtlichen Verhindern des Zähneknirschens spöttisch nenne, aus dem Zahnputzbecher nimmt, um diesen zu reinigen. Sie trägt Handschuhe. Sie bürstet die Bremspuren in der Kloschüssel. Sie stopft blutverkrustete Unterhosen in die Waschmaschine. Die Geräusche, die sie dabei macht, stören mich. Ich kann mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Ich höre Klodeckel klappen, Staub saugen, Schritte die Treppe knarzend hoch und runter laufen, den Wischmopp im Eimer stampfend auswringen, die Haustür öffnen und schließen, Geschirr klappern. Wenn sie fertig ist, kommt sie Kaugummi schmatzend an meinen Schreibtisch, knallt mir einen Zettel auf meinen Laptop und sagt: „I’m finish“. Ich zeichne ihre Stunden für die Agentur ab. Sie geht grußlos. Wenn sie weg ist, finde ich meine Sachen nicht an ihrem Platz. Ich ärgere mich. Kompost füllt die Papiermülltonne. Die Abfallwerker werden sie wieder nicht mitnehmen. Ich hänge kopfüber darin, um matschige Bananenschalen, verschimmelte Essensreste und Kaffeekrümel heraus zu fischen. Ich erklärte es ihr gefühlte hundert Male, dass es wirklich nervig sei, vergeblich. Wolle schrumpft im 60 Gradwaschgang, Teflonpfannen werden blitzsauber im Geschirrspüler und verlieren jegliche Beschichtung. In den Zimmern hängt der Geruch von Schweiß.

Wenn wir Urlaub haben, kommt sie trotzdem um sechs Uhr. Sie klingelt, fängt im Schlafzimmer an und macht die Betten. Anfangs kommt sie ohne Klingeln ins Haus. Ich erleide fast einen Herzinfarkt, als sie vor mir steht. Es dauert Monate, bis sie sich ans Klingeln gewöhnt. Ich werde Mutter.

Es gibt den siebten Tag in Folge Reis ohne Beilagen und Soße. „Eure Mami ist ein zähes Luder. Das sagte schon meine Austauschülerin als ich von morgens bis abends ohne Pause, Essen oder Trinken durch Paris lief“, sagt sie belustigt und stolz. Wir drei Kinder essen schweigend. Wir stellen das nicht in Frage. Wir stellen sie nicht in Frage.
Als mich mein Freund im Studentenwohnheim besucht und fragt: „Wieso hast du nichts zu Essen im Kühlschrank?“ Lautet meine Antwort: „Wieso, ich habe doch Reis und Nudeln.“ Er zieht eine Augenbraue hoch und fragt: „Und das isst du trocken? Gehst du wenigstens in die Mensa?“. Ich zucke mit den Achseln und antworte: „Ich gehe nicht mit den anderen in die Mensa. Es ist mir zu teuer. Pommes sind mir zu ungesund, außerdem bin ich Vegetarierin.“ Er geht einkaufen und kommt mit Obst und Gemüse, Joghurt und Milch, Brot und Käse, Tomatensoße und Pizzaböden, Milchreis und Apfelmus zurück. „Heute lade ich dich zum Essen ein“, sagt er lachend. „Ich habe auf dem Weg zum Supermarkt jede Menge Bars und Bistros gesehen. In denen wird ein Student nicht arm.“ Ich schäme mich, bin dankbar und beeindruckt von ihm.
Mein älterer Halbbruder sieht mich bestürzt und verwundert an: „Aber unser Vater hat deiner Mutter jeden Monat Unterhalt überwiesen, bis du 18 Jahre alt warst! Wusstest du das denn nicht? Ich habe die Ordner mit den Zahlungen alle für dich aufgehoben.“ Ich will sie nicht sehen. Er kann sie behalten. Ich schäme mich und fühle mich vorgeführt.
Meine Mutter mietet in einem gehobenen Hamburger Stadtteil ein Haus, mit einem riesigen Garten. Sie kauft Seide aus China, mehrere Ballen. Sie kauft einen Schredder, für den Garten. Sie mietet in den Ferien Häuser in Dänemark, mit Solarium. Sie kauft sich eine elektrische Saftpresse, für ihre Diät. Sie kauft eine Küchenmaschine, zum Salatraspeln. Sie kauft ein Service von Villeroy & Boch, das Auge isst schließlich mit. Sie kauft ein weißes Samtsofa, für die Abende vorm Fernseher. Sie kauft ein Tischsolarium, für die Bräune im Winter. Ich brauche neue Unterhosen, die alten haben Löcher. Wir haben kein Geld, wir können sie nicht kaufen. Ich fürchte den erneuten Hohn und Spott meiner Mitschüler. Ich schwänze den Sportunterricht. „Muschi, ich gehe heute zur Post und gucke ob in meinem Fach ein Brief angekommen ist, in dem steht, dass das Kindergeld bald überwiesen wird. Dann bestelle ich uns ein großes Paket bei Otto, mit lauter schönen Anziehsachen. Notfalls stottere ich das in Raten ab und wir essen Reis ohne Soße“, sie freut sich über ihren Witz. Wieso hat sie ein Postfach? Meine beiden jüngeren Brüder wollen bis heute nichts davon wissen.

„Gyae, gyae, gyae!“ Auf dem Markt gibt es alles zu kaufen. Ich meine nicht alles, was man braucht, sondern wirklich alles. Gemüse, Obst, Kühlschränke, Hühner, Kühe, Ziegen, Autos, Medikamente, Gewürze, Kochbananen, Holz, Wellblech, Körbe, Wannen, Töpfe, Schuhe, Kleidung, Taschen, Maniok, Yam, Fernseher, Handys, Kunsthaar, Ananas, Kokosnüsse, Werkzeug… Ich bin überwältigt. Händler preisen mir rufend ihre Ware an. Frauen singen und tanzen beim Lobpreisen. Männer stampfen mit den Füßen, legen den Kopf in den Nacken, ihren Kehlen entrinnen fremdartige Vogelrufe. Es riecht stark nach Essen, Gewürzen und Schweiß. Es ist heiß, sehr heiß. Die Sonne sticht. Ich brauche was zu trinken. Es gibt überall Kühlschränke mit Coca-Cola-Flaschen. Sie sind an laufende Pickups angeschlossen oder an kleine Generatoren. Die Cola ist teuer. Außer reichen Ausländern scheint sie sich keiner leisten zu können. Also wozu? Stolz, es ist stolz etwas präsentieren zu können! Stolz auf das, was zu dem Leben gehört, von dem alle träumen. „Deutschland, da wo du herkommst, das ist doch das Paradies. Ihr habt alles wovon wir träumen. Euch mangelt es an nichts. Ihr könnt euch so viel Cola leisten wie ihr wollt. Kannst du mich nicht mitnehmen nach Deutschland?“, Andrew lacht mich an. Der Schweiß perlt auf seiner Stirn. Er wischt ihn sich mit dem Ärmel seines blauen Overalls ab. Seine Hände sind ölverschmiert. Er hat versucht, den Bus, mit dem ich zum Markt fuhr zu reparieren, ohne Erfolg. Er wollte mir ein bisschen was zeigen und ein Ersatzteil auf dem Markt besorgen. Er ist nicht aufdringlich. Trotzdem bin ich unangenehm berührt. Ich sage ihm, dass die Afrikaner, die ich in Deutschland kennenlernte, häufig darunter leiden, dass die Deutschen sie nie anlachen, immer griesgrämig seien und am liebsten für sich bleiben. Außerdem sei das Wetter so unglaublich schlecht. Andrew schaut mich kopfschüttelnd an: „Es ist das Paradies, was willst du mehr?“ Ein Mann schubst mich im Vorbeirennen zur Seite. Ich lasse mir an einem Stand Rastazöpfe flechten. Es ziept entsetzlich. Und es dauert Stunden. Die beiden Frauen, die meine Haare bearbeiten, tragen im Tuch auf dem Rücken jede ein Baby. Ich höre die ganze Zeit nicht einen Mucks. Die eine kämmt das Kunsthaar im sitzen und teilt es in dünne Strähnen, die andere flicht das Kunsthaar im Stehen in meine Haare. Mücken schwirren um mich. Ich versuche sie zu verscheuchen. Ich habe mich gründlich mit Insektiziden eingesprüht und nehme Malariaprofilaxe. Dennoch reagiere ich panisch, wenn sie mich stechen. Es gibt unzählige Krankheiten, die sie übertragen können. Besonders hier, bei dem tropisch-feuchten Klima, mit unzähligen Pfützen, die sich auf den gelben Lehmpisten sammeln und im dichten Menschengedränge. Ich bereue meinen Entschluss mit den Rastazöpfen. Eine Horde Menschen rennt am Stand vorbei, laut schimpfend, die Fäuste zum Himmel gereckt. Warum sind sie so aufgebracht? Jemand hat an einem Stand Kochbananen geklaut. „Und alle rennen hinter dem Mann her?“ frage ich. „Ja! Es gibt viele hungrige Mäuler. Würde man sie alle gewähren lassen, ermuntert das immer weitere. Die Standbesitzer haben Zuhause selbst eine darbende Familie, die sie ernähren müssen“, sagt die schlanke Frau in ihrem eng ansitzenden Kleid mit ruhiger, gutmütiger Stimme und zieht dabei an meinen Haaren, um sie in den nächsten Rastazopf einzuflechten. Am nächsten Tag lese ich eine Randnotiz in einer englischsprachigen Zeitung: Lynchmord auf dem Markt nach Diebstahl von Essen. Rund hundert aufgebrachte Männer und Frauen prügelten einen Mann nach dem Diebstahl von Kochbananen zu Tode. Er hinterlässt seine Frau und sieben Kinder. Die Regierung verurteilt Selbstjustiz, die Polizei gehe dagegen vor. Unglaubliches Grauen lässt mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen.

Als ich einen dicken Babybauch zum Ende meiner Schwangerschaft vor mich herschiebe, erhöhe ich ihre Stunden auf sechs pro Woche. Es reicht immer noch nicht.

Irgendwann fragt sie mich, ob ich ein Baby erwarte. Es ist nicht nur die erste an mich gerichtete Frage, es ist die erste persönliche Ansprache überhaupt. Als ich bejahe, ändert sich ihre Körpersprache komplett.

Sie strahlt übers ganze Gesicht, als sie auf Englisch sagt: „Ah, das habe ich schon geahnt. Eine Mutter spürt so etwas mit dem Herzen.“ Sie breitet ihre Arme aus, wie zur Liebkosung. Ihre Augen funkeln. Von nun an fragt sie mich jedes Mal nach dem Baby und hält einen kleinen Plausch. Sie ist gut gelaunt. Ihre Gegenwart stört mich nicht mehr. Als ich mit einem Taxi unter Wehen ins Krankenhaus zur Entbindung fahre, wünscht sie mir viel Glück, ruft immer wieder: „God bless you“ und wirft mir Kusshändchen nach. Ich bin gerührt und in meinem Umstand ohnehin schon nahe am Wasser gebaut, so dass ich den Tränen freien Lauf lasse. Der Taxifahrer versucht mich aufzumuntern: „Kindchen, das wird schon alles gut gehen! Ich habe so viele Frauen ins Krankenhaus gefahren und wir sind nie zu spät gekommen. Ich gebe Gas“. Was folgt, bringt meine Nerven, die einem seidenen Faden gleichen, noch mehr unter Spannung. Als ich entlassen werde, schickt uns die Agentur zum ersten Mal eine Vertretung. Es ist die Nichte. Ich erfahre den Namen meiner Hilfe: Jeanny. Es ist ihr englischer Name, ihren Afrikanischen werde ich nie erfahren. Dafür aber ihre Geschichte. Jeanny bekommt zwei Kinder in Ghana, einen Jungen und ein Mädchen. Ihr Ehemann verlässt sie kurz nach der Geburt des zweiten Kindes und lässt sich nie wieder blicken. Jeanny ist alleinerziehend, arbeitet viel und hart, um ihre Familie zu ernähren. Aber es reicht nicht, um die Kinder auf‘s Collage zu schicken. Sie will, dass aus ihnen mal etwas wird, im Gegensatz zu ihrer Mutter. Jeanny nimmt von niemandem Geld oder Hilfe an. Als ihr Sohn 16 Jahre alt ist und ihre Tochter 14, geht Jeanny nach Europa. Zahlreiche ghanaische Verwandte wanderten über Acra nach Italien aus. Daher ist es Jeannys erster Anlaufpunkt. Ihre Mutter verspricht, ein Auge auf ihre Enkelkinder zu werfen. Ein paar Familienmitglieder zog es weiter von Italien nach Deutschland. Dort gibt es gerade einen richtigen run nach Haushalthilfen. Wer ein konkretes Arbeitsangebot nachweisen kann, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis. Jeanny nimmt eine Stelle in Hamburg an und kommt bei Verwandten in Wilhelmsburg unter. Dort gibt es günstigen Wohnraum. Zu ihrer Arbeit braucht sie jeden Tag über eine Stunde hin und noch mal wieder zurück, weil die Stadtteile mit der wohlhabenden Kundschaft nicht um die Ecke liegen. Sie kommt nicht ein einziges Mal auch nur fünf Minuten zu spät. Sie ist nie krank. Sie nimmt nie Urlaub. Sie beschwert sich nie. Als ihr Sohn 18 Jahre alt ist, stirbt er an einer Überdosis. Jeanny erscheint zum ersten Mal nicht bei der Arbeit…
Ich frage ihre Nichte, wann die Beerdigung sei und wie lange Jeanny in Ghana sei. Sie schüttelt stumm den Kopf. Sie erklärt mir, dass ihre Tante nicht zur Beisetzung ihres Sohnes fliegen werde, da die Flüge so kurzfristig zu teuer sind. Sie will das Geld lieber für ihre Tochter sparen. In der darauffolgenden Woche steht Jeanny wieder um sechs Uhr bei uns im Haus und macht sich an die Arbeit. Sie erwähnt den Tod ihres Sohnes mit keinem Wort. Ich weiß, dass sie es nicht tut, um mich damit nicht zu belasten. Die Demuth und Tapferkeit dieser anfangs so stummen Dienerin treiben mir Tränen in die Augen. Sie verließ ihre Kinder, damit sie ein besseres Leben haben als sie selbst. Nun scheint dieses Opfer vergebens, so sehe ich es. Aber sie kämpft weiter klaglos für ihre Tochter. Ich wende mich schnell ab, denn meine Betroffenheit würde sie bekümmern. Als wir uns das nächste Mal sehen, gebe ich ihr das Geld für den Flug. Wir schauen uns in die Augen.

Ich sehe ihren Schmerz, eine Trauer, die nur Mütter fühlen können. Sie scheint greifbar zwischen uns. Wir umarmen uns. Stumm laufen uns Tränen über die Wangen.

„Was hast du heute für Hausaufgaben auf?“, fragt sie mich, während sie in der Küche hantiert. „Deutsch, wir müssen einen Aufsatz aus der Perspektive eines Tieres schreiben“, antworte ich gequält. „Oh fein, das klingt doch super! Ich helfe Dir“, sagt sie vergnügt. Ich hole meine Schulsachen und lege sie auf den Esstisch. Ich bin eine gute Schülerin, aber entsetzlich schüchtern. Der Gedanke daran, meine Geschichte morgen vorlesen zu müssen, löst heute schon schweißnasse Hände, Kopfschmerzen und starkes Unwohlsein bei mir aus. Meine Mutter setzt sich an den Tisch und liest sich die Aufgabe durch. „Toll, ich liebe solche Aufgaben,“ sie nimmt einen Zettel aus der Schublade hinter sich und einen Stift aus einer Dose, dann macht sie sich ans Werk. Sie schreibt eine Geschichte aus der Perspektive einer Katze. Eine halbe Stunde lang spricht sie kein Wort. Dann legt sie den Stift zur Seite, reibt sich zufrieden die Hände und sagt voller Stolz zu mir: „So, jetzt brauchst du die Geschichte nur noch in dein Heft abzuschreiben.“
Ich gewinne beim Vorlesewettbewerb in meiner Klasse. Dann in meiner Stufe, zum Schluss an unserer Schule. Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe. Ich kann mich an diese Momente nur vage erinnern. Zu Beginn raste jedes Mal mein Herz, kalter Schweiß brach aus, ich zitterte am ganzen Körper, ich sah alles nur noch verschwommen, Geräusche klangen dumpf, dann verließ ich meinen Körper und sah mich von oben und ganz weit weg. Was anschließend folgte, erinnere ich nicht mehr. Ich gewinne den Schulwettbewerb und soll für unsere Schule mit Schülerinnen und Schülern aller anderen Schulen Hamburgs um die Wette vorlesen. Allein beim Gedanken daran fühle ich mich krank. Ich sage zu meiner Mutter: „Ich kann das nicht. Ich fühle mich schrecklich, wenn ich nur daran denke.“ Sie breitet ihre Arme aus und zieht mich an ihren großen Busen. Da ich inzwischen größer bin als sie, muss ich mich bücken. Ich lasse mich wie in ein weiches Kissen, tief hineinfallen. „Mein armes Puschilein. Natürlich musst du da nicht hingehen. Ich rufe in der Schule an und sage du bist krank“, flötet sie mit sanfter Stimme, während sie mir über den Kopf streichelt.
Als ich Anfang 19 Jahre alt bin, in meinem letzten Schuljahr vor dem Abitur, fühle ich mich viel zu alt für die Schule, für Hausaufgaben und um mir etwas von meinen Lehrern sagen zu lassen. Ich habe keine Idee, wohin mich mein künftiges Leben führen wird und will einen sozialen Dienst ableisten. Erstmal weg von Zuhause. Erstmal auf eigenen Beinen stehen. Etwas Gutes tun, die Welt retten, dann wird sich mir schon ein Weg auftun, hoffe ich und habe wahnsinnige Angst. Ich bewerbe mich schriftlich in einem Nationalpark als Rangerin. Ich werde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ich soll beim Leiter des Nationalparks anrufen und mich zu einem Gespräch mit ihm verabreden, steht in dem amtlichen Schreiben, das ich mit der freudigen Botschaft erhalte. Sofort quäle ich mich wieder. Ich kann da nicht anrufen, ich schaffe das nicht. Ich sage es meiner Mutter. „Ist doch kein Problem“, trällert sie fröhlich. Sie geht zum Telefon und ruft beim Leiter des Nationalparks an. Sie unterhält sich 20 Minuten mit ihm über mich. Dabei wirft sie mehrfach lachend den Kopf in den Nacken. Als sie den Hörer auflegt sagt sie zu mir: „Siehst du, das war gar kein Problem. Ich habe dir für nächste Woche einen Termin gemacht.“ Ich schrei sie an: „Warum hast du das getan? Das ist total peinlich! Ich werde in ein paar Monaten 20 Jahre alt!“ Sie schüttelt den Kopf, guckt mich enttäuscht an und sagt: „Warum kannst du nicht einfach dankbar sein? Ich meine es doch immer nur gut mit dir.“

Ich fahre mit dem Bus von Acra nach Norden. Ich will mir eine Goldmine in Obuasi ansehen. Es dauert einen Tag lang von der Hauptstadt Ghanas aus, obwohl sie nicht mal 300 Kilometer entfernt liegt. Ich weiß jetzt auch warum. Der Bus schaukelt hin und her und wirbelt auf den gelben, sandigen Schotterpisten jede Menge Staub auf. Tiefe Schlaglöcher und ein nicht enden wollender Strom des Gegenverkehrs lassen den Busfahrer eine Art Schlangentanz auf der Straße vollführen. Er macht das gut, ohne Frage. Geht‘s zügig, fährt er 40 Stundenkilometer. Phasenweise kommt er aber auch einfach nur im Schritttempo vorwärts. Ich wundere mich, dass es selbst im Großraum der Hauptstadt keine besseren Straßen gibt. Wie wollen die Menschen ihr Land an der Grenze im Norden erreichen, rund 1000 Kilometer von Acra entfernt? Müll säumt die Piste, alte Blechwannen, Autos, Kühlschränke. Dazwischen Hunde, Welchblechhütten und spielende Kinder. Im Hintergrund Regenwald. Als ich an der Goldmine ankomme, tut sich vor mir ein riesiger orange-gelber Krater auf. Der Tageabbau ist günstiger, aber er reißt schwere Wunden ins Land. Er zerstört den Wald, verschmutzt das Wasser, zerschlägt Steine bei Sprengungen, lärmt Tag und Nacht, vergiftet mit Chemikalien, lässt Fische sterben. Der Bergbau verbietet ehemalige Wege zu betreten, Grundstücke zu bebauen und vormalige Felder zu bestellen. Bauern werden enteignet und verlieren ihre Lebensgrundlage. Sie haben keine Ausbildung und bekommen keinen Job in den Goldminen.

Dort arbeiten unzählige barfuß und ohne Schutzkleidung.

Der Bergbau ist Ghanas größter Arbeitgeber, mit etwa hundertfünfzigtausend Familienunternehmen. Gold ist Ghanas wichtigstes Exportgut. Das Goldfeld von Obuasi ist das neuntgrößte der Welt. Ghana gilt als politisch stabiles, wirtschaftlich starkes und in den sozialen Bereichen fortschrittliches Land im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten. […]

Auszug aus meiner Kurzgeschichte Mutter. Sie erscheint mit weiteren voraussichtlich 2023 in einem Buch.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Alle Religionen sind für mich so heilig, wie meine eigene!


Shahab bedeutet im Arabischen Sternschnuppe. Aber auch Krieger“, sagt Shahab Ud-Din. Seine Mutter stammt aus Tansania, sein Vater aus Pakistan. Gemeinsam gingen sie nach England, dort wurde er geboren. Nicht ganz ein Jahr später zogen sie weiter nach Deutschland. Seine Eltern sind muslimischen Glaubens. Sie gehören der Ahmadiyya-Bewegung an, die in Pakistan stark verfolgt wird. Das war einer der Gründe, warum sein Vater nach Deutschland ging. 1974 gab es große Unruhen, die Familie seines Vaters wurde ausgeraubt und hatte nichts mehr. Sie schickte ihre Söhne ins Ausland, um das Leben der restlichen Familie zu sichern. „Damals ging das noch relativ einfach. Man konnte nach Deutschland kommen und es gab viel Arbeit“, sagt Shahab Ud-Din.
„Meine Verwandten leben zwar in Pakistan, aber ich verbinde damit nur Urlaub. Auf der anderen Seite bin ich sehr darauf bedacht, dass wir Zuhause nur Urdu sprechen. Für meine Kinder ist es mir wichtig, dass sie diese zweite Sprache wirklich gut beherrschen“, sagt Shahab Ud-Din. Der 36-jährige Diplomwirtschaftsingenieur ist verheiratet, hat eine dreijährige Tochter, einen sechsjährigen Sohn und lebt bei Köln.

„Wenn eine Kirche brennt, bin ich der Erste, der sie löscht! Selbst falls mein Haus dann verbrennt. Ich bin der Erste, der die Synagoge, das Gotteshaus und anders Gläubige schützt, selbst wenn es mir schadet. Das ist meine Pflicht als Muslim! Diese innere Triebkraft macht mich überhaupt erst zum Muslim.“

Shahab Ud-Dins Eltern engagierten sich in Schleswig-Holstein in einer Gemeinde, die noch relativ klein war. Mit den Jahren wuchs sie und je mehr Leute in die Gemeinde eintraten, umso mehr Arbeit fiel für seine Eltern an. „Schon mit sieben Jahren kommt man langsam rein, es werden bestimmte moralische Werte vermittelt“, sagt er. Die häusliche Erziehung habe in religiöser Hinsicht immer eine große Rolle gespielt. Damals gab es nur eine Moschee in Hamburg und eine bei Itzstedt. „Mein Vater besaß einen Gemüseladen und dafür einen Transporter. Weil viele damals nicht so viel Geld hatten und sich ein eigenes Auto nicht leisten konnten, nahm mein Vater sie alle im Kofferraum mit“, erinnert er sich.

Mit dem Begriff Heimat verband er lange Zeit nichts. Erst als er Norderstedt verließ und nach Köln ging, entdeckte er diesen Begriff für sich. „Vorher wusste ich nicht genau, was meine Heimat ist, Pakistan, wegen meines Vaters? Oder vielleicht Afrika, wo meine Mutter herkommt? Als ich nach Köln zog merkte ich, dass meine Heimat Norderstedt ist, ganz klar. Ich kenne dort alle Straßen. Wenn ich mich aufs Fahrrad setze und mir jemand sagt, er wohne da und da, komme ich hin, ohne genau zu wissen wo es ist. Nach Norderstedt zieht es mich immer wieder zurück. Ich vermisse die Franzbrötchen“, sagt er lachend. Er lebt am liebsten in Deutschland. Das ist sein Heimatland. Er arbeitet bei einer Sterilisationsfirma und leite drei Standorte mit fünfzehn Mitarbeitern. Shahab Ud-Din spricht im Interview über seinen Glauben, Religion und Frieden.

„Ich erhalte verletzende Dolchstöße in Form von permanentem Hass und Misstrauen mir gegenüber. Dazu gehört auch die ständige Suche meiner Mitmenschen nach einer Möglichkeit, mich zu denunzieren. Das ist passiert! Ohne Grund und ohne Beweise…“

Wann fing das Engagement in der Gemeinde an?
Ich war noch relativ jung. Es gab verschiedene Programme. Ab der siebten Klasse engagierten sich auch meine Freunde. Wir schrieben zu Hause etwas und erledigten kleinere Arbeiten. Mit der Zeit nahm die Verantwortung immer weiter zu.

Wie sah der Religionsunterricht in der Schule aus?
Ich konnte damals glaube ich, nicht entscheiden, ob ich daran teilnehme. Erst später konnte ich zwischen Religion und Philosophie wählen und stieg auf Philosophie um, weil der Religionsunterricht katholisch war. Meine Sohn wird nicht zum Religions-, sondern zum Ethikunterricht gehen.

Wie erlebtest du den Religionsunterricht?
Unsere Konfession ist offener als andere, weil wir sagen, dass alle Religionen im Kern die Wahrheit enthalten. Was viele Menschen daraus gemacht haben, entfernte sich von dieser Wahrheit. In der Oberstufe führte ich häufig Diskussionen mit meinem Religionslehrer, weil ich mich auch mit dem Christentum beschäftigte. Er hatte ganz schön zu kämpfen (lacht).

Wie viele Kinder gehörten damals dem muslimischen Glauben an?
Ich war relativ lange der einzige, selbst in der Oberstufe. Als wir nach Henstedt-Ulzburg zogen, war ich auch der einzige, der anders aussah.

Wie gingen deine Lehrer mit deinem Glauben um?
Da ich mich, als ich in der Oberstufe war, schon lange mit der Materie befasst hatte, konnten die Lehrer mir Fragen zu meiner Religion stellen. Es war sogar so, dass wenn im anderen Kurs etwas über den Islam unterrichtet wurde, Lehrer zu mir kamen, um es nochmal zu verifizieren und zu fragen, welche Quellen es gibt. Meine Eltern gaben mir von Anfang mit, dass ich mich mit meinem Glauben befassen und nicht blind glauben soll. Das half mir sehr.

„Die Andersgläubigen, Andersaussehenden und Andersdenkenden wurden zu einer Gefahr erhoben und diese Sichtweise war salonfähig.“

Gab es verbale Angriffe?
Einmal brachte ein Deutschlehrer im Unterricht einen Spruch gegen den Islam. Ich fragte ihn, woran er das festmache und ob er es belegen könne. Seine Reaktion war: Hätte ich gewusst, dass du hier bist, hätte ich das Thema gar nicht angerissen. Wir diskutieren dann und das war interessant. Es war von Vorteil, dass ich mich intensiv mit dem Islam beschäftigt hatte, Argumente einbringen und auf meinen Lehrer eingehen konnte.

Wie bringst du dich heutzutage in deiner Gemeinde ein?
Zur Zeit bin ich im Bundesvorstand unserer Jugendorganisation. Ich bin für das Ressort Wirtschaft und Handel zuständig. Außerdem leite ich die Jugendgruppe in Nordrhein-Westphalen. Das sind elf Jugendgemeinden mit circa 400 Jugendlichen, mit denen ich Sport- oder spirituelle Programme organisiere.

Was machst du da?
Unser primäres Ziel ist es, den Leuten zu ehrlicher Arbeit zu verhelfen. Wir unterstützen sie bei ihren Lebensläufen, bei der Arbeitssuche, führen verschiedene Business Coachings durch, in denen sie lernen, wie Excel, Word und Zeitmanagement funktionieren.

Was noch?
Wir haben einen Onlineshop, in dem wir die Kollektion unserer Gemeinde vertreiben. Ich leite und koordiniere das. Ich verbringe mehr Zeit mit der Gemeindearbeit als in meinem Job (lacht). Gestern war ich den ganzen Tag unterwegs. Samstags versorgen wir Obdachlose in Köln mit Essen. Mein Sohn ist immer dabei. Wenn er Mal nicht kann, ist er traurig. Er ist mit seinen sechs Jahren schon mittendrin. Unsere Zentrale hat ihren Sitz in Frankfurt, ich bin ein bis zwei Mal in der Woche dort. Das kostet alles viel Zeit. Letzten November war ich für eine humanitäre Mission zwei Wochen auf Madagaskar. Wir bauten medical camps in dörflich Regionen auf.

Wie finanziert ihr euch?
Wir sind weltweit circa 200 Millionen in unserer Gemeinde und finanzieren uns ausschließlich über Spenden. Wir nehmen keine staatlichen Gelder an. Fast alles, was passiert, wird ehrenamtlich gemacht. Mitarbeiter werden von Spendengeldern bezahlt.

„An die ewige Liebe zwischen Menschen glaube ich nicht. Die gibt es nur zu und von Gott. Die Liebe zwischen Menschen betrachte ich mathematisch.“

Warum lehnt ihr staatliche Gelder ab?
Wir wollen unabhängig bleiben. Wir sind eine rein spirituelle, religiöse Gemeinde. Wir kümmern wir uns nicht um politische und staatliche Angelegenheiten und wollen uns nicht einmischen. Nach unserem Verständnis bekommen wir alles, was wir brauchen, von Gott. Das Spenden ist somit für uns keine Frage der Finanzierung, sondern eine Möglichkeit, das eigene Einkommen zu bereinigen. Damit geben wir einen Teil dessen, den Gott uns schenkte, als Dank zurück.

Ist das mit dem Zehnt vergleichbar?
Das Spenden im Namen Gottes ist eine grundsätzliche Sache, die in jeder Religion verankert ist. Im Koran wird beschrieben, dass Gott fragt: Wer ist da, der mir einen Kredit gibt? Da stellt sich natürlich die Frage, wie man jemandem einen Kredit geben kann, dem schon alles gehört (lacht). Das Zehnt im Christentum ist eher für die Kirche gedacht, im Islam ist er beides. Wir haben den Willen, der Menschheit zu helfen. In Afrika bauten wir beispielsweise Schulen und Krankenhäuser auf.

In welchen Ländern unterhaltet ihr solche Projekte?
Wir sind Ghana und Nigeria sehr groß. In Sao Tomé und in Guatemala bauen wir gerade etwas auf, wie ein neues Krankenhaus. Auf Madagaskar planen wir etwas… In Pakistan finanzierten wir Geräte in einem Institute für Kardiologie, obwohl uns viele dort verunglimpfen und politisch gegen uns arbeiten. Diese Leute lassen sich trotzdem in unseren Krankenhäusern behandeln. Wir begegnen ihnen genauso wie allen anderen und sie bekommen zu hundert Prozent das, was sie brauchen. Wir halten das geheim, damit die Patienten keine Probleme bekommen.

Wie viel Geld gibst du konkret?
Ich gebe monatlich mindestens ein Zehntel meines Einkommens ab. Wenn man alles zusammenrechnet spende ich im Monat circa 20 Prozent meines Einkommens, das sind 15.000 Euro pro Jahr.

Was gebt ihr Gott noch?
Das Ehrenamt ist der Sauerstoff, den wir brauchen! Es ist ein Geben und Nehmen. Ich tue so viel wie geht für Gottes Gemeinde. Er revanchiert sich, indem er mir das Leben einfach macht und mir innere Zufriedenheit schenkt. […]

Transkription: Amélie Gloyer

Das vollständige Interview ist in meinem Buch Glaube, Liebe, Hoffnung zu lesen.

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  • Herausgeber ‏ : ‎ Anke Kühne (23. Oktober 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Hardcovereinband ‏ : ‎ 144 Seiten Hochglanz
  • Fadenbindung mit Kapitalband
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3000701257/ ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3000701252


Glaube, Liebe, Hoffnung

Ich wollte Profi-Boxer werden und ging nach New York

Damian Skrzypczak hatte einen Traum: Er wollte boxen. Mit 24 Jahren ging der gebürtige Pole für zwei Jahre nach New York und probierte sein Glück. Er stieg in den Ring und lernte viel. „Beim Boxen zählt nicht wo du herkommst. Es ist egal was du sonst noch so im Leben machst. Äußerlichkeiten spielen keine Rolle“, sagt er. Er ist fasziniert, dass alles möglich ist, unabhängig von dem was war, ist oder sein wird.
„In Amerika boxen Latinos und Schwarze. Als ich ins Gym kam, guckten sie mich alle erst mal an wie’n Auto“, erinnert sich Damian Skrzypczak und lacht. Sie sagten: „Ey Alter, du bist ja weiß!“ Und nannten ihn „Whitey“. Er machte Sparrings mit ihnen. Sie waren beeindruckt von seinem Boxstil. Das erste halbe Jahr in New York trainierte er ununterbrochen, da er keine Arbeitserlaubnis hatte und mit seiner Freundin bei ihren Eltern wohnte.

„Boxen war mein Talent. Es kam einfach so aus mir heraus. Heute fragen mich alle: Damian, warum ist nichts aus dir geworden? Es war Schicksal. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort…“

Dann arbeitete Damian Skrzypczak auf dem Bau. Er fuhr stundenlang durch New York. Morgens um fünf Uhr war er als einer der Ersten bei der Jobvergabe, um seine Gelegenheit zu bekommen. Er empfand es als fair, dass es nach dem Motto lief: Wer zuerst kommt, malt zuerst. „Wenn ich Pech hatte, bekam ich nichts und fuhr mittags unbezahlt wieder nach Hause“, sagt er. Auf dem Bau zu arbeiten sei etwas, das er gut kann. Die Männer dort brachten ihm fließend Englisch bei. Ein Afroamerikaner übernahm eine Art Vaterrolle für ihn. Er boxte auch. Er lernte viel von ihm, vor allem über das Leben. Sie sind heute noch befreundet.

Damian Skrzypczak in New York

Die Leute bei der Gewerkschaft hätten irgendwann gesehen: Der Junge kommt jeden Tag um fünf Uhr morgens zur Jobvergabe, er hat kein Auto und fährt mit der Bahn von Brooklyn nach Queens. Sie gaben ihm eine Chance. Er konnte in New York zur Schule gehen und diverse Lizenzen machen, die er für seine Arbeit brauchte, wie einen Gabelstapler- und Kompressorschein.
Doch die Arbeit machte ihn körperlich kaputt. Das merkte er auch beim Boxen. Die Sparrings waren kein Training mehr, sondern „eine richtige Schlägerei. Ein Trainer fragte mich: Warum hast du ihn nicht ausgeknockt? Ich sagte: Ich bin nicht fit und dachte, ich tue ihm einen Gefallen“. Während der zehn Jahre zuvor, lernte er beim Boxtraining gegenseitige Rücksichtnahme. Aber in Amerika wird härter geboxt. Jeder guckt nur auf sich selbst. Das merkt man vor allen Dingen beim Sparring. „Ob du einen Cut bekommst oder dir die Nase brichst und wie du anschließend ins Krankenhaus kommst, ist mir scheiß egal! Das ist die Einstellung“, sagt er. Viele würden es nicht kennen fair zu sein und ein Sportsmann. Die Härte beginne schon im Kindesalter. Die Kids trainieren mit den Erwachsenen mit. „Drei Minuten Training, dann klingelt die Uhr und es ist eine Minute Pause. In Deutschland haben die Kinder nur eine Minute trainiert und dann Pause gemacht, weil es sonst zu hart gewesen wäre. Aber New York ist Hard Knock Life“, sagt er.

Als Damian Skrzypczak Geld verdient, zieht er bei den Eltern seiner Freundin in Queens aus und mit ihr zusammen in eine Wohnung nach Brooklyn. Sie ist Amerikanerin und arbeitet als Hairstylistin. Die beiden lernten sich in London kennen. Er besuchte sie zweimal in New York, als er 22 und 23 Jahre alt ist, dann beschließt er spontan, der Liebe wegen, in die USA zu gehen. Damian Skrzypczak war auch neugierig auf Amerika und besonders auf New York. In Hamburg gibt er seine Wohnung, sein Zuhause und seine Freunde auf. Sein Umfeld reagierte geschockt. „Sie fragten mich: Wie, du gehst nach New York? Und ich antwortete: Tja, das Flugticket ist schon gekauft! Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Aber das war gut so. Ich fahre gern allein in den Urlaub und habe kein Problem damit, mich in fremde Länder einzufinden und von Ausländern umgeben zu sein.“
Damian Skrzypczak guckte sich alles in Manhattan, Brooklyn und Queens an. War es so toll, cool und aufregend in New York, wie erträumt? „Ja! Absolut! Freiwillig hätte ich New York nie verlassen. Ich würde heute noch dort leben wollen“, schwärmt er.

Aber New York ist anstrengend. Die Menschenmassen und vor allen die Touristen nervten. „Geh mir aus dem Weg, ich will nach Hause“, dachte er ständig. Obwohl er Pole ist, vermisste er Deutschland, wo er zuletzt lebte. Er fuhr absichtlich ab und zu nach Chinatown, um dort zwischen den vielen Touristen, ein paar Brocken Deutsch aufzuschnappen. Jeden Sonntag fuhr er außerdem nach Greenpoint, einem Wohngebiet in Brooklyn, das hauptsächlich von einer polnischen Community bewohnt wird. Das polnische Essen linderte sein Heimweh. Freunde hatte Damian Skrzypczak bis auf den Afroamerikaner und seine Freundin keine. „Die New Yorker sind für sich. Es ist unglaublich schwer, dort Freunde zu finden. Das ist Hard Knock Life“, sagt er.
Das Leben in New York ist teuer. Wohnung, Essen und Bahntickets verschlingen alles. Das Geld ist immer knapp. „Viele Leute hängen auf der Straße, die ganzen Gangs. Ich habe mit denen öfter geschnackt. Sie fragten mich: Ey Whitey, wo gehst du denn immer mit deinen Boxhandschuhen hin? Ich sagte: Ich bin Boxer! Ich erzählte ihnen, in welchem Gym ich boxte. Sie meinten: Ah, kenn‘ ich! Sie wollten wissen, wie ich es in New York geschafft hatte. Von da an machten sie immer, wenn ich an ihnen vorbeijoggte, eine La-Ola-Welle“, sagt er lachend. „Ich fühlte mich als New Yorker.“
Doch die Liebe zerbrach. Und beim Boxtraining war Damian Skrzypczak komplett auf sich selbst gestellt. Der Traum vom Boxen platzte. Er beendete alles in New York. Seitdem war er nie wieder dort.

Die Wunde über seinen geplatzten Traum verheilte nie. „Es ist irgendwie immer etwas dazwischengekommen. Das tut bis heute weh“, sagt Damian Skrzypczak. Er boxte nie wieder, abgesehen von freundschaftlichen Sparrings. Aber er arbeitet auch heute noch seine alten Trainingspläne durch, um körperlich fit zu sein. „Der Reiz und der Hunger Boxer zu werden, war nach New York weg“, sagt er. Es sei trotzdem eine gute Erfahrung gewesen. Heute wäre es viel schwieriger in New York Arbeit zu bekommen, berichtet ihm sein afroamerikanischer Freund aus den USA. Selbst über die Gewerkschaft. New York ist zwar Multi-Kulti, aber Rassismus wäre trotzdem ein Thema. Ihm persönlich sei er jedoch nie begegnet. „Ich stand damals Sylvester in einer der schlechtesten Gegenden New Yorks vorm Liquor Store an, um Alc zu besorgen. Klar Mann, wir wollten feiern! Und die Leute laberten mich alle an, aber es war kein Problem. Aber vielleicht ziehen manche Leute es auch an, weil sie denken, oh man ich bin weiß. Oder sie glauben, dass die anderen denken, sie seien ein Nazi… Wer weiß? Vielleicht würde mir heute immer noch nichts passieren…“, überlegt er. Die meisten, denen er begegnet sei, wüssten selbst gar nicht, woher sie kommen, die kennen ihren Ursprung gar nicht. […]

Das vollständige Interview ist in meinem Buch Glaube, Liebe, Hoffnung zu lesen.

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  • Herausgeber ‏ : ‎ Anke Kühne (23. Oktober 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Hardcovereinband ‏ : ‎ 144 Seiten Hochglanz
  • Fadenbindung mit Kapitalband
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3000701257/ ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3000701252

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Kindermund tut Wahrheit kund…

…und schreibt: Ich bin der Weihnachtsmann!

Comic: Tjelle

Es ist so weit: Meine Tochter bekommt den ersten Füller ihres Lebens. Niemand weiß, warum Kinder heutzutage noch mit dem Füller schreiben müssen, aber alle sind sich einig, dass es ein wichtiger Abschnitt im Leben eines Kindes ist. Ich schlage ihrer Lehrerin ein kreatives Schreibprojekt vor. Als ich meiner Freundin davon erzähle, die ebenfalls Lehrerin ist, lautet ihre Antwort: „Das finde ich mutig von dir!“ Mutig? Also eigentlich wollte ich nicht etwas mit Jugendlichen in der Bronx diskutieren! Sondern an einer Grundschule in Hamburg kreatives Schreiben üben und entweder es gefällt den Kindern oder nicht. Ich frage besser nicht nach, wer weiß, was heutzutage so los ist an den Grundschulen…

Die Schüler stellen sich vor, sie seien der Weihnachtsmann. Sie riechen verbrannte Plätzchen. Sie hören, dass jemand schrecklich schief singt. Sie schmecken den Ruß des Schornsteins. Sie fühlen, dass sie zu dick geworden sind und nicht mehr durch den Schlot passen. Sie sehen, dass es mal wieder grau und verregnet ist, anstatt dass es an Weihnachten schneit. Sie malen mit Worten

Nach Zustimmung des Schulleiters, entscheide ich gemeinsam mit der Klassenlehrerin noch vor Weihnachten zu beginnen. Ich hoffe, es macht den Kindern Freude in einer Zeit, in der wegen Corona jedes Weihnachtstheater, Schulbacken und Krippenspiel entfällt. Vor meinem inneren Auge läuft ein Film meiner eigenen vorweihnachtlichen Zeit in der Schule ab. Die Tische stehen in Sechser-Gruppen zusammen. Jedes Kind hat vor sich auf seinem Tisch ein paar geschmückte Tannenzweige, eine brennende Kerze und Orangen, die mit Nelken gespickt sind. Unsere Lehrerin spielt Weihnachtslieder auf der Gitarre und liest Weihnachtsgeschichten vor. Wir essen dabei selbstgebackene Kekse, knacken Nüsse und pellen Mandarinen. Schööööön! Voller Erwartung dessen trete ich die erste Stunde an. Und schlage ernüchtert auf dem Boden eines Klassenzimmers auf, das nur durch Neonlampen erhellt wird.

Dafür machen die Kinder begeistert mit! Brav melden sie sich und sagen: „Frau Kühne“, obwohl etliche von ihnen mich vorher beim Vornamen nannten. Sie haben kreative Einfälle und bringen diese anschließend zu Papier, wunderbar! Die Schüler stellen sich vor, sie seien der Weihnachtsmann. Sie riechen verbrannte Plätzchen. Sie hören, dass jemand schrecklich schief singt. Sie schmecken den Ruß des Schornsteins. Sie fühlen, dass sie zu dick geworden sind und nicht mehr durch den Schlot passen. Sie sehen, dass es mal wieder grau und verregnet ist, anstatt dass es an Weihnachten schneit. Sie malen mit Worten, das machen sie sehr schön. Etliche malen auch tatsächlich in ihre „Gedankenblasen“, die Kreise auf ihrem Übungsblatt. Da es ein kreatives Schreibprojekt ist, können sich die Kinder die Form aussuchen: Möglich sind neben der klassischen Geschichte, auch ein Gedicht oder Comic. Rund ein Drittel entscheidet sich für einen Comic. Davon deutlich mehr Jungs als Mädchen. Hausaufgabe, ist es, zu malen, zu reimen und zu schreiben. Jetzt maulen und jammern die Schüler erstmals und ich bin beruhigt, denn das hatte ich auch erwartet.

Die Stunde ist vorbei, als eine Diskussion entflammt, ob es den Weihnachtsmann gibt. „Nee“, sind die Kinder mehrheitlich sicher. „Meine Mama sagt immer, dass sie sich noch schminken muss und wir schon mal vorgehen sollen in die Kirche. Das sagt sie nur, damit sie ungestört die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen kann“, berichtet ein kleiner Naseweis. Ich versuche zu erklären, dass es für die Geschichte unerheblich sei, ob es ihn gibt oder nicht, schließlich ginge es beim kreativen Schreiben um Fantasie. Ein Kind platzt heraus: „Ich glaube nicht an den Weihnachtsmann. Ich habe mal einen Wunsch auf einen Zettel geschrieben und nichts bekommen.“ Oh je, ich sehe meine Tochter in der ersten Reihe immer unglücklicher aussehen und will jeden weiteren Versuch, den Weihnachtsmann zu entzaubern, unterbinden. Aber die Lehrerin sagt entschuldigend und mit einer Engelsgeduld zu mir: „Das ist gerade ein riesiges Thema.“

In der zweiten und dritten Stunde überlegen sich die Kids, welche Geschenke sie als Weihnachtsmann erfüllen würden: einen Maserati, eine PS5, eine Villa, eine Smartwatch und Playmobil. Aber auch eine Katze, ein Pferd, Glück, Rudolph das Rentier sowie dass das Corona-Virus weggeht und alle gesund sind. Im zweiten Schritt sollen die Schüler die Geschenke mit Adjektiven charakterisieren. Heraus kommt: Ich schenke dir ein grau-weißes, leichtes, kleines Schleich-Pferd. Ich schenke dir einen Pool, der 20 Meter lang ist, 100 Kilogramm wiegt, durchsichtig und quadratisch ist. Ich schenke dir einen schwarzen, 420 Stundenkilometer schnellen, coolen Bugatti Chiron. Ich schenke Dir ein schwarzes Hündchen mit einem weißen Bauch. Ich schenke dir viel fröhliches, großes, starkes Glück. Ich schenke dir fluffigen, weißen, weichen, meterhohen, glitzernden, niemals schmelzenden, perfekt zum Schneemann bauen geeigneten, nicht kalten, in dicken Flocken fallenden Schnee.

In der nächsten Doppelstunde machen die Kinder eine Übung, in der sie sich gegenseitig interviewen. Ein Schüler spielt einen Reporter, ein anderer den Weihnachtsmann. Ein Kind muslimischen Glaubens sagt, es dürfe keine Weihnachtsdekorationen haben und auch nicht an den Weihnachtsmann glauben. Es spielt einen Reporter. Seine kritische Frage lautet: „Wie viele Rentiere ziehen den Schlitten des Weihnachtsmannes?“ „Acht…?“, lautet die zaghafte Antwort des Schülers, der den Weihnachtsmann spielt. „Kann nicht sein, Rudolph läuft vorne weg und ist immer allein! Also muss es eine ungrade Zahl an Rentieren sein!“, argumentiert der kleine Reporter.

Ein anderes Kind fragt: „Weihnachtsmann, was machst du im Sommer? Der kleine Santa Claus antwortet: „Ich bade.“ „Und wer ist dein bester Freund?“ Der gespielte Weihnachtsmann: „Der Nikolaus“. „Und wo wohnst du?“ „Am Nordpol“; „In Spanien“; „Im Himmel“; „In Griechenland“; „Im Lentersweg 1“.

Die Antworten sind so unterschiedlich, wie die gespielten kleinen Weihnachtsmänner in der Schulklasse.

In diesem Sinne Schalom, Salam Aleikum, Om mani padme hum und phantastische Weihnachten! Mit Weihnachtsmännern und -frauen, Christkindern, Engeln, Tomtes, Trollen, Wichteln, Nikoläusen, Göttern und Göttinnen sowie natürlich dem wichtigsten: der Liebe!
Oder war das jetzt bloß ein biochemischer Prozess? Ach nee, das lernen unsere Kids ja zum Glück erst in der weiterführenden Schule…
Also einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Glaube, Liebe, Hoffnung

Die Frau ist glücklich und stark, sie kann ein Kind mit Behinderung großziehen!

Eva-Maria Esken ist 42 Jahre alt und hat zwei Töchter. Ihr älteres, siebenjähriges Mädchen ist mehrfach schwerbehindert. Sie möchte sie in diesem Text Sophie genannt haben. „Es ist eine wahnsinnig große Liebe. Es gibt nichts Schöneres, als wenn sie morgens ihre Augen aufmacht, mich anguckt und strahlt. Ich kann von ihrem Gesicht ablesen: Mama! Oder wenn sie mich streichelt. Sie ist so ein Sonnenschein!“, erzählt Eva-Maria Esken.

„Ich find‘s blöd, dass uns alle fragen, ob wir es gewusst haben! Als ob wir uns sonst gegen Sophie entschieden hätten. Ich glaube an eine höhere Instanz, die sagte: Das Kind wird es gut bei uns haben!“

Sie selbst war die Jüngste von elf Kindern. Sie hatte sechs Brüder und vier Schwestern. Die Eltern waren katholisch und verhüteten aus religiösen Gründen nicht. Sie wurde in Adelsberg, in Bayern geboren. „Es ist ein 1000 Einwohnerdorf, mitten im Berg und der Main fließt hindurch. Es ist sehr idyllisch und echt schön“, sagt sie. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg.
Sophie hat den sehr seltenen Gendefekt STXPB1. Es gibt nur ganz wenige, medizinische Veröffentlichungen und weltweit existieren nur ein paar Fälle. Es handelt sich um eine körperliche und geistige Behinderung, die mit Epilepsie einhergeht. Der Gendefekt ist seit 2013 bekannt. Sophie wurde 2011 geboren und ein Labor in Tübingen war neun Monate damit beschäftig, ihr Material auszuwerten. Es gibt es keine Heilungsmöglichkeiten. Es handelt sich um eine Spontanmutation, die jeden treffen kann. „Ich war bereits entlassen und wartete mit unserem Baby auf dem Arm auf meinen Mann, der das Auto holte“, erinnert sich Eva-Maria Esken. „Plötzlich hörte Sophie auf zu atmen. Ich bekam einen Schock. Die Ärzte wussten nicht, was los war.“ Im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE) machten sie eine Kernspintomographie des Gehirns. Sie war unauffällig. Dennoch verschlechterte sich Sophies Zustand immer weiter. Schließlich wurde sie nach Göttingen verlegt.

Der Alltag der Eltern veränderte sich radikal. Ebenso wie die Beziehung des Paares. Eva-Maria Esken hatte das Gefühl, ihr Mann könne schlechter mit der Situation umgehen, als sie selbst. Manchmal denkt sie, das liege an ihrem katholischen Glauben. Außerdem arbeitete er den ganzen Tag, während sie zehn Stunden auf der Intensivstation verbrachte. Am Wochenende spürte sie seine ganze Verzweiflung.
Ihre jüngere Tochter Marie ist vier Jahre alt und vollkommen gesund. „Für unser zweites Kind ließen wir uns in der Humangenetik testen und beraten. Außerdem wussten wir, was Sophie hat. Die Chancen standen gut, ein gesundes zweites Kind zu bekommen!“, erklärt Eva-Maria Esken. Die Schwestern lieben sich sehr. „Anfangs waren wir uns nicht so sicher, ob Marie davon profitiert, dass sie eine große Schwester hat. Aber je älter sie werden, desto enger sind sie miteinander. Ich filme sie manchmal heimlich, wenn sie zusammen auf dem Teppich liegen und eine aus vollem Herzen lacht, während die andere kichert. Das ist herrlich.“, sagt Eva-Maria Esken.
Geplant war, dass sie nach der Geburt ihrer ersten Tochter wieder arbeitet. Doch da diese mehrfach schwerbehindert ist, kümmert sie sich jetzt um dessen Pflege.
Eva-Maria Esken spricht im Interview über die Liebe zu ihrer behinderten Tochter, ihrem zweiten gesunden Kind und ihrem Mann.

War von Anfang an klar, dass ihr gemeinsam Kinder haben wollt?
Nein! Mit Anfang 20 hätte ich nie ein Kind gewollt. Es war lange kein Thema. Ich wollte auf keinen Fall so viele Kinder, wie wir zu Hause waren (lacht)! Nach der Schule schloss ich eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin ab und anschließend im Praxismanagement. Mein Mann ist Zahnarzt. Gemeinsam führten wir viele Jahre eine Praxis. Dann wollte ich reisen. Unsere Freunde bekamen mit Mitte 20 Kinder. Doch ich war nicht bereit dafür. Mein Mann äußerte sich nie dazu. Es war keine Beziehung in der wir sagten: Ich möchte ein Kind von dir. Wir fanden die Kinder anderer eher nervig. Wir hatten einen Hund und ein Haus. Das war ein schönes Leben! Wir träumten immer davon in Hamburg zu leben. Eines Tages erfüllten wir uns diesen Wunsch, verkauften unsere Praxis und das Haus in Bayern. Als mein Mann nach Sophies Geburt ein zweites Kind wollte, überraschte mich das.

Machte einer einen Heiratsantrag und falls ja, wie?
Wir waren ganz lange zusammen, als mein damaliger Freund plötzlich verletzt auf der Intensivstation lag. Es war klar, wenn ihm etwas zustößt, entscheiden seine Eltern. Das gab den Auslöser zu heiraten.

Was habt ihr zur Erfüllung eures Kinderwunsches auf euch genommen? Zwischendrin gab es eine Phase, als es bei meiner Freundin nicht klappte, da fragte ich mich, ob ich damit leben könnte? Ich beantwortete sie mit: ja. Ich habe so viele Interessen…

Wie beeinflussten die Geburten eure Liebe?
Jetzt denke ich, ein Leben ohne Kinder würde gar keinen Sinn machen (lacht). Aber wenn man es nicht anders kennt… Ich vermisse das Reisen nach wie vor! Ich sage NICHT, das brauche ich mit Kindern nicht mehr.

„Es wird immer weh tun, dass mein Lebenstraum geplatzt ist! Aber anstatt dies zu beweinen und einem gesunden Kind hinterher zu trauern, ist es besser, mich mit meinem behinderten Kind anzufreunden und die schönen Seiten zu sehen!“

Gibt es Vermutungen, wie es zu Sophies Behinderung kam?
Nein! Häufig ist es so, dass einer der Elternteile oder auch beide, Träger eines Gendefektes sind und diesen selbst nicht haben. Das Kind bekommt dann eine Behinderung, weil man sich normalerweise nicht testen lässt, bevor man schwanger wird. So sind viele Behinderungen zu erklären, aber bei uns war es nicht so.

Wie war es direkt nach Sophies Geburt?
Ich wollte niemanden sehen. Ich war tagsüber im Krankenhaus. Nachts pumpte ich Milch ab, damit Sophie sie am nächsten Tag trinken konnte. Das war wochenlang mein Rhythmus. Ich hatte keine Hilfe, meine Mutter war total überfordert. Sie verlor ihr siebtes Kind, als es ein halbes Jahr alt war…

Was war das Schlimmste?
Wenn die Ärzte Sophie einen Zugang legten. Sie war so zerstochen, dass es irgendwann nur noch im Kopf ging. Sie schrie und ich musste sie festhalten. Ich konnte es kaum aushalten und hätte am liebsten gebrüllt: „Lasst sie doch einfach in Ruhe“. Sie hatte Blitz-Nick-Salaam-Anfälle, das sind sogenannte BNS-Anfälle. Es handelt sich um epileptische Anfälle, die das Gehirn der Kinder schädigen, sodass sie kognitiv nichts mehr lernen können. Davor hatten wir am meisten Angst. Es war schwierig, Sophie medikamentös einzustellen. So war sie altersgemäß in der Lage Blickkontakt aufzubauen und nach den Anfällen ging nichts mehr… Sie bekam ein starkes Narkosemittel. Vorher krampfte sie ohne Ende, schlief kaum noch…

Machten euch die Ärzte Hoffnungen?
Nee! Es gab einen Professor der sagte: Sophie ist geistig und körperlich behindert, sie wird nie laufen können. Da brach für mich eine Welt zusammen. Irgendwann kam der Moment, als ich dachte, falls jetzt eine Fee käme und mich fragte, ob ich mir wünsche, dass sie laufen oder sprechen kann, sage ich: sprechen! Damit man sie besser verstehen kann.

Sprechen ist aber an die geistige Behinderung gekoppelt?
Ja, ich wünsche mir, dass sie einen Weg findet, um mit anderen zu kommunizieren. Ich verstehe sie blind (weint). Aber wenn ich nicht mehr bin, wird sie an Menschen geraten, die sie nicht so verstehen können oder wollen…

Ihr könnt euch nur über den Blickkontakt komplett verständigen?
Ja und nicht nur das. Sie schmatzt, wenn sie Hunger hat. Wenn sie etwas nicht mag, macht sie den Mund zu. Wenn sie Durst hat, leckt sie sich die Lippen. Wenn sie müde ist, dreht sie sich weg. Wenn ihr etwas zu viel ist, meckert sie und macht äh, äh…

Kann das noch jemand verstehen?
Ich habe zu Sophie eine ganz andere Verbindung als mein Mann. Vielleicht liegt es daran, dass ich sie schon im Bauch hatte. Mit Sicherheit auch daran, dass wir zusammen so viel durchmachten. Wenn es Sophie nicht gut geht, kann ich nicht schlafen und nicht essen. Marie und meinen Mann kann ich dann gar nicht um mich haben…

Gab es Zweifel?
Ich habe nie dran gezweifelt, dass ich dieses Kind will! Es tut mir deshalb so unendlich weh, wenn mich die Leute fragen: Habt ihr es gewusst? Es hätte nichts an unserer Entscheidung geändert. Die Menschen um uns herum sehen nur: Oh mein Gott ist das Kind eingeschränkt. Ich sehe meine Tochter nicht so. Klar, ist sie eingeschränkt. Aber ich kenne Kinder, da denke ich, wir haben noch Glück gehabt mit unserer Sophie. Sie kann sitzen, sie kann essen, sie bekommt viel mit, auch wenn sie sich nicht äußern kann. Ich nahm den Ärzten und Therapeuten immer richtig übel, wenn sie mir vorhielten, was mein Kind alles nicht kann. Ich sah schon immer, was mein Kind kann. Wenn Sophie die Finger aneinander nimmt, ist das ein Fest. Dann könnte ich Freudensprünge machen (weint). Sie macht immer noch stetig kleine Fortschritte. Es gibt auch immer wieder Rückschritte. Teilweise bleibt es dann dabei. Es gibt nicht mehr so viele Fortschritte wie noch vor zwei Jahren…

Sind eure Töchter Geschenke Gottes?
Manchmal denke ich, dass ich Sophie bekam, weil jemand wusste, dass sie es gut bei uns hat. Als ob jemand sagte: Eva kann das bewältigen, sie kann ein behindertes Kind bekommen. Bei ihr ist Sophie gut aufgehoben

Wer oder was half?
Ich erhielt am Anfang eine Karte einer Mutter, die auch ein behindertes Kind hat. Darauf stand die Geschichte von Emily Perl Kingsley. Sie hat ein Kind mit Down Syndrom. In Die Reise nach Holland schreibt sie, wie es ist, mit einem behinderten Kind zu leben. Sie vergleicht sei mit einer Reise. Alle wollen nach Italien. Wegen der Dolce Vita, des schönen Wetters, des Meeres… Sie bereiten sich mit Reiseführern und Sprachkursen darauf vor. Nach Monaten des Wartens geht es endlich los. Alle steigen in das Flugzeug. Nach ein paar Stunden landet es und die Stewardessen sagen: Willkommen in Holland! Du fragst dich: wieso Holland? Ich wollte doch nach Italien! Die Stewardessen sagen: Nee, es gab eine Planänderung, du musst jetzt hier bleiben. Du überlegst, ok, Holland ist kein Land, das dich in große Nöte bringt. Es gibt auch schöne Seiten. Du wirst nie in Italien sein, wo alle hinwollen. Das wird dir immer weh tun, weil dein Lebenstraum geplatzt ist. Aber anstatt dies dein Leben lang zu beweinen, ist es besser, neue Reiseführer zu kaufen und eine andere Sprache zu lernen. Und irgendwann siehst du, wie schön Holland ist: Es gibt Tulpen und Windräder, Gemälde und Museen. Immer wenn ich geknickt war, dachte ich daran.

Was hoffst du für Sophies Schulzeit?
Dass sie weiter gerne zur Schule geht.

Wie lange wird sie zur Schule gehen?
Bis sie 18 Jahre alt ist.

Hat Sophie eine unbeschwerte Kindheit?
Ja, aber einfach ist das nicht. Wenn wir rausgehen, dann nerven die Gaffer tierisch! Die, die uns anlachen oder auch die, die Fragen stellen, sind ok.

Erzwingt Marie, als nicht behindertes Kind, einen normaleren Alltag?
Ja, hat sie! Das Schöne ist natürlich, dass Marie die ganzen Entwicklungsschritte macht, die Meilensteine eines Kindes. Ich bereute zu keinem Zeitpunkt, ein zweites Kind bekommen zu haben. Am Anfang, als Marie ein Baby war, nahm Sophie keine Notiz von ihr. Aber je mehr Marie machen konnte, je mehr sie zu Sophie hingegangen ist, war sie begeistert von ihr.

Wie äußert sich das?
Wenn Sophie morgens aufwacht, wartet sie schon auf Marie. Sie lacht und freut sich, wenn sie da ist. Dann packt sie sie am Haarschopf. Marie macht dauernd irgendwelche Witze mit ihr. Sie bespaßt sie und Sophie lacht sich kaputt.

Wie funktioniert die Verständigung zwischen Sophie und Marie?
Ich glaube, irgendwann wird Marie Sophie mehr lesen können als mein Mann. Weil sie so eng miteinander sind. Sie weiß jetzt schon, was sie Sophie wann in welche Hand geben kann und was nicht. Oder sie kommt zu mir und sagt, Sophie hat in die Windel gemacht, wir müssen ihr eine neue anziehen. Sie ist manchmal wie so eine kleine Mutti. Marie will sie füttern. Und Sophie findet es toll!

„Wenn sie als Baby einen epileptischen Anfall hatte und ihr Körperchen krampfte, wusste ich nicht, ob sie da rauskommt oder drin bleibt und stirbt.“

Klappt das?
Marie macht es perfekt! Gestern waren wir beim Arzt, da hatte Sophie eine Untersuchung, bei der sie den Kopf stillhalten muss. Ich lobe Sophie immer, sie mag das gerne. Als wir wieder im Auto saßen, nahm Marie, die Hand ihrer großen Schwester und sagte: Sophie, das hast du toll gemacht! Ich sah es im Rückspiegel.

Also hilft sie immer?
Ja, das fällt auch anderen auf! Ich bekomme ganz oft gesagt, wie toll Marie zu Sophie ist. Ich hoffe das bleibt so.

Welche Befürchtungen gibt es?
In meinem Bekanntenkreis kenne ich es auch anders! Das sind allerdings Zwillinge. Das Mädchen ist nicht behindert, der Junge ist behindert. Bei Marie ist es immer noch so, dass Sophie die große Schwester ist. Auch wenn sie weiß, dass Sophie vieles nicht kann. Das sagt sie auch im Kindergarten so. Sie erzählt Sophie ist behindert und kann nicht laufen und sprechen. Aber Behinderte haben ihre Geheimsprache. Sie geht ganz offen damit um.

Gibt es Tabus?
Über die Epilepsie sprechen wir noch nicht, weil das zu komplex ist und ich sie mit vier Jahren noch zu klein dafür finde. Falls Sophie mal einen Anfall hat und Marie fragt, sage ich, dass Sophie ein Gewitter im Kopf hat.

Nutzt Marie Situationen für sich?
Natürlich! Zum Beispiel, wenn sie Süßigkeiten will, die Sophie gehören. Dann sagt sie, Sophie ist einverstanden.

Was ist noch anders?
Ich sage öfter mal zu Marie: Nee, ich kann jetzt gerade nicht. Dafür gehe ich nur mit Marie allein zum Schwimmen und zum Reiten. Ich möchte nicht, dass sie später denkt, Mama hatte nie Zeit für mich, wegen meiner behinderten Schwester. Deshalb sage ich: Ich kann im Moment nicht, bin aber gleich bei dir. Ich will nicht, dass Marie irgendwann denkt, sie musste immer Rücksicht nehmen.

Das vollständige Interview ist in meinem Buch Glaube, Liebe, Hoffnung zu lesen.

Direkt zu bestellen über mich für 24,90 Euro unter Angabe der Postadresse: https://www.paypal.com/paypalme/BookFaithLoveHope

  • Herausgeber ‏ : ‎ Anke Kühne (23. Oktober 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Hardcovereinband ‏ : ‎ 144 Seiten Hochglanz
  • Fadenbindung mit Kapitalband
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3000701257/ ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3000701252

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Erzählung

Maja

Sie hatte wunderschöne Beine. Ich meine, nicht irgendwie schöne Beine. Sondern solche, nach denen man sich umdrehte. Man sah die Frau mittleren Alters, nicht besonders hübsch. Kurze, blonde Haare, schwarze, dicke Hornbrille, vom Typ her maskulin und etwas verhärmt. Vom Schicksal? Der Arbeit? Wer weiß… Möglicherweise aus Langeweile, aber keinesfalls aus einer Hoffnung heraus, ließ ich den Blick an ihr herunter gleiten und sah ihre Beine: lang, wohlgeformt und braun. „Wow!“, schoss es mir durch den Kopf und nach ein paar Schritten dachte ich: „Hatte sie wirklich diese wahnsinnigen Beine?“ Ich konnte nicht anders, ich musste mich noch mal nach ihr umdrehen: ja, hatte sie!

https://youtu.be/ZEk15bOthcI

Meine Frau hatte nicht so zauberhafte Beine. Damit lag sie mir ständig in den Ohren. Lang, aber sie waren ihr nicht wohlgeformt genug. Schlank, aber sie maulte, dass sie zur Orangenhaut neigten. Auf den Knien fanden sich Sommersprossen, die alle ihre Liebhaberinnen süß fanden. Bis ich sie heiratete. Das Haar fiel ihr in roten Locken über die Schultern und ihre Haut blieb immer weiß. Braun wurde sie nie. Eher verbrannte sie vorher und warf schmerzhafte Blasen. Ihr Stiefvater zwang sie, im Sommer in Südfrankreich, ihre Haut der Sonne auszusetzen. Ich fragte sie, ob sie denn keine Sonnencreme dabei hatten? Sie vermutete, es war seine Rache an ihrem leiblichen Vater. Gleichzeitig konnte er ihre zart knospende Brust begaffen. Ich schweife ab… Anfangs war meine Frau eifersüchtig auf DIE SCHÖNEN BEINE. Später war sie nur noch dankbar für ihren eigenen Körper. Genauso wie ich. Mit unseren unperfekten Beinen konnten wir durch einen warmen Sommerregen rennen, mit unseren Kindern Seil springen, mit dem Rad einen steilen Berg hinunter sausen, auf einem rauschenden Schlossfest bis zum Morgengrauen tanzen, in einem See auf dem Rücken schwimmen und dabei den weißen Wolken, am knallblauen Himmel, bei ihrer gemächlichen Reise zu sehen oder in wilder Ekstase den begehrten Körper leidenschaftlich umschlingen…

Besonders dankbar waren wir dafür, dass es unsere Beine noch gab. DIE SCHÖNEN BEINE waren dagegen inzwischen längst von Maden und Würmern zerfressen. Verfault und verwest. Zu Erde geworden. Der Tod besiegte sie, aber war er nicht besser als ihr Leben?

DIE SCHÖNEN BEINE hatten Eierstockkrebs. Als DIE WEIßEN KITTEL den Tumor fanden, war er bereits Walnussgroß. In ihrem Körper blühten Metastasen. In der Niere, der Leber, der Wirbelsäule, des Darms… DIE SCHÖNEN BEINE freuten sich, dass die Lunge nicht befallen war. Als sie es mir erzählten, fragten sie mich: „Was trägt man zu seiner eigenen Beerdigung?“ Ich wusste nichts zu erwidern. Zur Erfüllung ihres Kinderwunsches hatten DIE SCHÖNEN BEINE das Gleiche über sich ergehen lassen, wie meine Frau. So lernten wir uns kennen. Sie erklärten es mir und sich selbst so: „Wenn der Wunsch unendlich groß ist… Wenn er jahrelang immer verzweifelter wird. Wenn dein ganzes Sein nur noch aus diesem einen Wunsch zu bestehen scheint. Dein Kopf, mit all deinen Gedanken. Dein Herz, mit deiner ganzen Liebe. Dein Körper, mit jeder deiner Fasern. Dann bist du bereit, alles, wirklich ALLES zu tun! Auch, falls es Selbstmord wäre.“ Obwohl ich ebenfalls gerne Mutter werden wollte, kannte ich dieses allesverschlingende Verzehren nicht. Manchmal plagten mich deshalb Gewissenbisse. Wenn meine Frau mit bleichem Gesicht auf ihrem Kopfkissen lag. Und zwischen dem Weißton des Bettleinens und ihrer Haut kein Unterschied auszumachen war. Oder bildete ich mir das ein? Weil es dunkel war und der Mond, der durch das Fenster schien, die einzige Lichtquelle bildete? Ihre Sommersprossen zeichneten sich schwarz auf ihrem Gesicht ab. Die Locken lagen wirr um ihren Kopf verteilt, quollen über den Rand ihres Kissens hinaus und machten sich auf dem Laken breit. Bis ihnen mein Kissen eine Barriere bot, über die sie sich nicht hinweg zu setzen vermochten. Ihr Gesicht war selbst während der Nachtruhe angespannt. Ihr Schlaf war unruhig. Ihr Atem ging leise und unregelmäßig. Ich lag stundenlang wach in dieser Zeit. Sie tat mir leid und ich wünschte mir, wir kämen irgendwie raus aus dieser Nummer. Ich sehnte mich nach unserem alten, unbeschwerten Leben. Gleichwohl wusste ich natürlich nur allzu gut, dass es nie wieder so werden würde, wie früher…

100, 101, 102, leiser Schnarcher. 103, 104, 105, 106, 107, unruhiges Hin- und Herschlagen mit dem Kopf. 108, Zähneknirschen? 109, 110, 111, 112, 113, zur Seite Strampeln der Decke. 114, 115, 116, Mitternacht. Noch fünf Stunden bis zum erlösenden Klingeln des Weckers. 117, was taten wir bloß?

Meine Frau krümmte sich vor Bauchschmerzen. Wie zum schlechten Scherz, wölbte sich ihr Unterleib, gleich dessen einer Hochschwangeren. Winzige Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn und ihrer Oberlippe. „Ich fahre dich jetzt ins Krankenhaus!“, sagte ich energischer, als beabsichtigt. Ich rechnete mit Gegenwehr. „Nein“, stöhnte sie, „mach mir noch einen Proteinshake! DER WEIßE KITTEL meinte, ich solle so viel Eiweiß wie möglich zu mir nehmen und reichlich trinken.“ Ich sah sie zweifelnd an. Verschwand dann in die Küche und machte ihr den fünften Proteinshake des Tages. Als ich ihn ihr reichte, versuchte ich mit der schmeichelhaftesten Stimme, die mir in dieser angespannten Situation möglich war, zu sagen: „Falls es dir nach diesem Glas nicht besser geht, müssen wir in die Klinik fahren!“ Ich rief vorsorglich schon mal die Notfallnummer an, die wir vom Kinderwunschzentrum erhielten. Falls sich etwas Beunruhigendes am Wochenende zutragen hätte oder abends. Was aber so gut wie nie vorgekommen wäre, wir sollten uns auf keinen Fall sorgen. Eine Handynummer. Für meinen Geschmack klingelte es unnötig lange. „Ja?“, endliche eine Stimme. Im Hintergrund Kindergeschrei und Hundegebell. Laute aus einer anderen Welt, nach der wir uns zu sehr sehnten. Und das mit dem Tod meiner Frau hätten bezahlen sollen? Ich riss mich zusammen und schilderte DEM WEIßEN KITTEL den Zustand meiner Frau. Er klang betont verständnisvoll, als er sagte: „Es tut mir leid, aber sie müssen sich sofort auf den Weg ins Krankenhaus machen.“ Als ich es meiner Frau erzählte, gab sie ihren Widerstand endlich auf. Ich fuhr sie in die Klinik. „Hyperstimmulationssyndrom! Es hätte tödlich enden können“, stellte DER WEIßE KITTEL nüchtern fest, als er ein Ultraschall des Eierstocks meiner Frau machte. „Bitte was?“, fragte ich. DER WEIßE KITTEL zeigte auf den Monitor. „Das ist der Eierstock. Er ist riesig, weil ihn 17 reife Eizellen aufpusteten, wie einen Ballon. Und er ist voller Flüssigkeit. Der Körper ihrer Frau muss zugepumpt sein mit Hormonen.“ Meine Liebste sagte, wie zur Entschuldigung: „Ich spritze mir die Hormone seit über einem Monat täglich selbst in den Bauch. „So was habe ich noch nie gesehen“, erwiderte DER WEIßE KITTEL. „Ich geben ihnen eine Infusion. Sie werden es schon schaffen!“ Er klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Ja, hoffentlich!“, antwortete sie. „Wäre blöd, falls nicht! So kurz vorm Ziel…“ Ich küsste sie auf die Stirn. „Sag so etwas nicht! Das wichtigste ist deine Gesundheit! Vergiss das nie.“ Sie lächelte matt.

Zwei Tage später war sie fahrtauglich. Es reichte zumindest um im Beifahrersitz zu hängen. Ich fuhr ohnehin lieber Auto, als sie. Es ging nach Dänemark. Wir hatten uns ein besonders schönes Hotel gegönnt. Doch von den Dingen um uns herum nahmen wir keinerlei Notiz. Ich durfte meine Frau zur Operation begleiten. Wir wurden getrennt voneinander vorbereitet. Ich bekam einen weißen Kittel, dessen Knöpfe sich auf dem Rücken befanden. Wie zur Hölle hätte ich da bitteschön alleine reinkommen sollen? Egal, ich setzte eine grüne Haube über meine Haare. Und nahm den weißen Mundschutz. Ich wartete in einem kleinen Raum ohne Fenster. Er war weiß gekachelt und mit einer grellen Neonlampe an der Decke ausgeleuchtet. Es gab ein Waschbecken, daneben einen Seifenspender und Desinfektionsmittel. Dann noch eine Pritsche, auf die ich mich setzte. Das war’s. Es dauerte ewig. Ich hatte Sorgen um meine Frau. Ich konnte nicht stillsitzen. Ich stand auf und drehte Runden um die Pritsche. 51, 52, 53, boah war das stickig und ich konnte nicht mal ein Fenster öffnen. 54, 55, 56, 57, 58, ich verschränkte die Hände beim Gehen hinterm Rücken. So wie ich es manchmal bei WEIßEN KITTELN beobachtet hatte. Warum taten die das? 59, ich krallte meine Fingernägel so fest ich konnte in meine Hände, bis ich den Schmerz nicht mehr aushielt. 60, 61, 62, was machten die bloß so lange? 63, 64, 65, 66, 67, ich bekam immer schlechter Luft. Mein Hals fühlte sich wie eingeschnürt an. Ich hatte Angst um meine Frau. 68, Panik stieg in mir auf. Wenn ich schrie, hätte mich dann jemand gehört? Wieso gab es keinen Alarmknopf, den ich hätte drücken können? 69, 70, 71, war es in Krankenhäusern nicht Vorschrift, dass es in jedem Raum einen Alarmknopf gab, den man im Notfall hätte drücken können? 72, vielleicht war das in Dänemark anders? 73, 74, 75, ich hätte die Scheibe des Knopfes für Feueralarm einschlagen können. 76, wenn nicht gleich jemand gekommen wäre, hätte ich das gemacht! 77, 78, 79, 80, 81, jetzt! Die Tür flog auf. „Na, dann wollen wir mal“, sagte DER WEIßE KITTEL gut gelaunt und stürmte durch den kleinen Raum weiter in den OP. Meine Frau lag noch bleicher als des nachts auf einem Stuhl, wie beim Gynäkologen. Keine einzige ihrer widerspenstigen roten Locken schaffte es, sich durch die grüne OP-Haube zu drängen. Ich versuchte ihr aufmunternd zuzulächeln, doch ich spürte, wie sich mein Gesicht zu einer Grimasse verzerrte. Sie hatte Tränen in den Augen. Meine arme Kleine! „Es geht ganz schnell! Ich entnehme die reifen Eizellen durch die Scheide“, sagte DER WEIßE KITTEL. Unter Narkose gelang es ihm 15 Eizellen zu bergen. Im Labor verschmolzen die Eizellen mit dem Samen. Wir entschieden uns für einen Spender, der zwar seinen Namen preisgab, aber keine Begegnung mit dem Kind wollte. Wir wollten ebenfalls keinen Kontakt. Unser Kind würde mit 18 Jahren selbst entscheiden, aber war das nicht feige?

Der Spender war Däne. Das gefiel uns. Wir suchten nach dänischen Namen für unser Kind. 13 Eizellen erreichten das Vorkernstadium. Lillith, Kerstin, Ben, Inga, Ole, Marie, Lasse, Mia, Linus, Rasmus, Lilli, Mads und Ida. Es war das Anfangsstadium der Befruchtung. Aus den Keimzellen bildete sich der Vorkern. Er enthielt den halben Chromosomensatz meiner Frau. Zur anderen Hälfte den des Spenders. Ich war genetisch nicht an unserem Kind beteiligt. Ob mich das störte? Nein! Ich war nicht darauf aus, meine Gene fortzupflanzen. Ich wollte Mutter sein. Es war immer klar, dass meine Frau unsere Kinder bekommt. Wir fanden es beide eher befremdlich, wenn heterosexuelle Frauen begeistert ausriefen: „Oh wie toll, wenn Ihr lesbisch seid, dann könnt ihr ja immer abwechseln ein Kind bekommen oder noch besser, beide gleichzeitig! Und zusammen auf der Couch liegen. Euch über eure Wehwehchen austauschen und das erste Jahr gemeinsam in Elternzeit verbringen!“ Geradezu verstörend waren Bemerkungen, wie: „Warum tut ihr euch das mit der künstlichen Befruchtung an? Einmal mit ‘nem Kerl in die Kiste zu hüpfen, da ist doch nichts dabei! Ist doch für einen guten Zweck, haha.“ Ich war solche Bemerkungen seit meinem 17 Lebensjahr gewohnt, als ich meiner Mutter anvertraute: „Ich stehe nicht auf Jungs, ich liebe Mädchen.“ Völlig unvermutet traf sie mich mit einem Messerstich direkt ins Herz, als sie antwortete: „Mir wär’s lieber, du wärst tot.“ Später versuchte sie sich zu rechtfertigen, indem sie sagte: „Ich dachte, dass ich niemals ein Enkelkind bekäme.“ Die Wunde verheilte bis heute nicht, aber war meine Mutter nicht auch irgendwie zu verstehen?

Zwei befruchtete Eier setzte DER WEIßE KITTEL in die Gebärmutter meiner Frau ein. Sie war bei Bewusstsein. Ich hielt ihre Hand und wir verfolgten alles auf einem großen Monitor, der direkt unter der Decke befestigt war. Es waren zwei prächtige Achtzeller. Ida und Linus. Sofort durchströmte uns ein Gefühl der Rührung und Liebe. Ich redete mit ihrem Bauch wie zu einem Baby. Der Bluttest zeigte, dass Ida und Linus es nicht geschafft hatten. Trauer. Meine Frau hatte unsere Babys verloren… Einen Zyklus später, erneuter Versuch. Nach einem halben Monat Spritzen in den Bauch: grüne, gelbe und blaue Färbungen. Sie verliefen ineinander. Der Künstler hatte keinen Platz mehr auf der Leinwand, um weitere Farben aufzutragen. Meine Frau brach ab. Sie hatte Albträume. Angst, dass es wieder nicht geklappt hätte. Das Gefühl, die Hormone machten sie depressiv. Ich arbeitete viel. Meine Frau versuchte es wieder. Elf befruchtete Eier hatten wir einfrieren lassen. Lillith, Kerstin, Ben, Inga, Ole, Marie, Lasse, Mia, Rasmus, Lilli und Mads. DER WEIßE KITTEL taute vier Eier auf. Kerstin, Ben, Inga und Ole. Die beiden vitalsten setzte er ein. Inga und Ben. Was wurde aus Kerstin und Ole? Mord? Die Chancen bei aufgetauten Eiern waren geringer. Wir machten uns große Hoffnungen. Schwanger! Wir sollten ein Baby bekommen. Ein BABY! Inga hatte es geschafft, Ben nicht. Wir trauerten um Ben und sorgten uns um Inga. […]

Dank an Christian Gruber!

Die vollständige Kurzgeschichte erscheint mit weiteren Geschichten von mir in einem Buch.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Buddha sagte: Glaubt mir nicht, überprüft es!

„ENTWEDER-ODER ist das Denken der Glaubensreligionen: Entweder du glaubst an meinen Gott oder du bist etwas anderes.“

Christian Böhner fühlte mit 17 Jahren etwas ganz Besonderes: „Es war so, als wäre direkt vor meinen Augen ein Sylvester-Feuerwerk losgegangen!“, berichtet er. Heute lebt der 54-Jährige im Buddhistischen Zentrum in Hamburg. Dabei wuchs er zunächst katholisch in Bad Pyrmont auf. Seine Eltern, seine beiden jüngeren Brüder und er selbst, waren bis zu seinem zwölften Lebensjahr katholisch aktiv. „Zwei Familienmitglieder waren Franziskanermönche. Einer musste vor den Nazis fliehen, er war Professor. In New York gründete und führte er die Franziskaner Abtei mit. Er kam nie wieder nach Deutschland zurück“, erinnert er sich. Der andere Großonkel lebte bis zu seinem Tod in Paderborn, in einem katholischen Kloster. „Als meine Mutter sich von meinem Vater trennte und ihr neuer Mann atheistisch unterwegs war, war’s vorbei mit dem christlichen Glauben bei uns“, erzählt Christian Böhner.
Er machte sein Abitur, anschließend den Zivildienst im Krankenhaus und studierte an der Universität Geschichte, Sport und Pädagogik. „Ich stieg Anfang der 1990er Jahre in die Medienbranche ein, zur Goldgräber-Zeit. Damals war Hamburg die Medienhauptstadt Deutschlands“, sagt er. Als Verlags- und Werbekaufmann ist er heute im Bereich der Special-Interest- und Out-of-Home-Medien tätig.

„Ich erhielt als Kind die Erstkommunion und war Messdiener. Wir gingen jeden Sonntag in die Kirche.“

Er hat drei Kinder, 24, elf und acht Jahre alt. „Meine beiden jüngeren Kinder leben bei ihrer Mutter, gegenüber, auf der anderen Straßenseite. Sie haben ihr eigenes Zimmer in meiner Wohnung und sind regelmäßig bei mir. Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander“, schwärmt er. Seine älteste Tochter mache komplett ihr eigenes Ding, sie wohnt aber auch nur zwei Straßen weiter. „Die Kinder wachsen nicht automatisch mit buddhistischen Gebräuchen auf, sondern so, dass sie mitkriegen, dass ihre Eltern Buddhisten sind“, erklärt Christian Böhner.
Er reiste um die Welt und behielt doch immer eine Verbindung zu Hamburg. Er kam zurück, obwohl er eine Zeitlang in Berlin und im Allgäu arbeitete. Er sei Norddeutscher und fühle sich an der Nord- und Ostsee wohl. Auch in Dänemark, dort habe er Freunde, die meisten von ihnen in Kopenhagen. Aber letztendlich sei die stärkste Verbindung, die zu seinem Selbst. „Der Witz ist, dass man trotzdem nicht zum Neutrum wird. Es ist ein Sowohl-als-auch“, erklärt er. Christian Böhmer spricht im Interview über seinen buddhistischen Glauben.


Gab es als Kind einen Glauben an Gott?
Ich wusste nie so richtig… Wie sieht der aus? Wer ist dieser Gott? Ich habe keine Stimmen gehört…Ich fand Jesus faszinierend und das finde ich auch heute noch. Ich glaube, er war ein hoher Bodhisattwa, der leider viel zu kurz lehrte. Er sagte garantiert nicht, wie Buddha: „Alles was ich weiß, habe ich euch gelehrt und an euch weitergegeben.“

Wann war klar: Ich bin Buddhist?
Seit 1993, also seit fast 30 Jahren…

Wie kam es zum Buddhismus?
Ich kam in der Schule dazu. Mit vielen Mitschülern. Durch unseren Lehrer. Wir machten Projektreisen. Und regelmäßig in der zweiten großen Pause, hielt er Meditationsstunden ab. Rund jeder zehnte Schüler unserer Oberstufe nahm daran teil. Viele davon nahmen die Zuflucht. Aber nicht alle gingen diesen Weg auch weiter, mit täglicher Praxis oder wohnen gar, wie ich, in einem buddhistischen Zentrum. Trotzdem treffen wir uns heute noch.

Die Zuflucht ist das Ritual, ab dem man gläubiger Buddhist ist?

Das ist das Ritual, ja. Gläubig ist man damit nicht unbedingt. Der Buddhismus ist ein Weg, der zu geistiger Freiheit führt. Du fängst an zu meditieren und merkst, wie beim Gleichnis mit den Wolken, dass sie sich ein bisschen auflösen, dass die Sonne anfängt zu strahlen. Du merkst, wie du stabiler wirst und dann bekommt es eine Eigendynamik! Dann macht meditieren Spaß! Wir beten keinen Buddha an, wir erhoffen uns keine Absolution. Alle Lehrer gingen diesen Weg selbst. Mit ihnen kann der Schüler arbeiten. Und am Ende ist es Überpersönlich.

Waren Sprachen für den Buddhismus zu lernen? Nee, musste ich nicht! Zum Glück… Lama Ole hat es gemacht wie sein historisches Vorbild Marpa. Der war Tibeter und holte den Buddhismus aus Indien. Sein Beiname war „Der Übersetzer“. Lama Ole und seine Frau Hannah, die hervorragend Tibetisch und Sanskrit konnte, haben die Belehrungen übersetzt. Die Meditationen sind auf Deutsch.

Mal in Tibet gewesen?
Nein! Nicht in diesem Leben.

Gibt es in Deutschland die Möglichkeit ein Leben als buddhistischer Mönch zu führen?
Kaum. Es gibt kleinere Gruppen. In Tibet gibt es vier Hauptgruppen und sehr, sehr viele Unterschulen, die über die Jahrhunderte gewachsen sind. Und davon gibt’s auch in Deutschland kleine Gruppen. Da sind Mönche dabei, aber das sind sehr wenige! In Frankreich sind es ein bisschen mehr. Da gibt es richtige Klöster. Dort haben sich Franzosen und auch ein paar Deutsche, als Mönche und Nonnen ordinieren lassen. Sie lernen Sanskrit und Tibetisch.

Mal in so einem Kloster gewesen?
In so einem traditionellen nicht. Wir haben in Norddeutschland und dem südlichen Dänemark fünf Zurückziehungsstellen, in denen man immer mal für ein paar Tage oder eine Woche nur meditieren kann. Das ist dann sehr intensiv.

Was ist die größte Stärke des Buddhismus?
Selbstverwirklichung, bis hin zu echter, geistiger Freiheit. Kein Zentrum, kein Lama will dich in Abhängigkeit sehen. Lama Ole erzählte, er möchte, dass auf seinem Grabstein steht, er habe die Leute selbstständig gemacht. Und das war auch Buddhas Ansinnen. Er hat 45 Jahre gelehrt. Dann sagte er: „Jetzt glaubt es mir nicht nur, weil es ein Buddha sagte, sondern überprüft es durch eure eigene Erfahrung! Ihr seid euer eigener Herr. Nehmt es an und macht es zu eurem eigenen Weg.“ Buddha lebte als Bettelmönch. Aber er sagte: „Denkt nur nicht, wenn ihr mit der Reisschale unterwegs seid, eure Haare kurzgeschoren tragt und euch ein gelbrotes Tuch umwickelt, dann seid ihr auf dem richtigen Weg!“ Nein, es ist eine innere Ebene, nur um die geht es. Und um das sehr, sehr Echte. In Tibet sagt man zu den Mönchen, die in den Bergen leben, die Verwirklichung muss so hart sein, wie Knochen auf Stein. Sonst schickt dich der Lehrer zurück in die Höhle und sagt: Mach doch noch mal drei Jahre. Und dann sehen wir uns wieder (lacht).

„Der Buddhismus ist wie eine Kristallkugel: wenn er in Indien glatt und schwarz in die Kugel gelangt, kommt er in Tibet gewebt und weiß hervor. Im Westen ist er plötzlich bunt und in einer Teppichfaserstruktur. Aber die Kugel an sich, in ihrer Essenz, ist immer dieselbe.“

Ist der Buddhismus, dadurch, dass es sich um eine innere Haltung handelt, reformfähiger, als das Christen- oder Judentum?
Dadurch, dass er nicht so dogmatisch ist, wie Glaubensreligionen, auf jeden Fall! Der Buddhismus hat sich immer verändert. Er vermischt sich mit den örtlichen Gegebenheiten und hat dadurch immer andere Formen. Damit hat der Buddhismus überhaupt kein Problem. Es gibt einen indischen, einen chinesischen, einen tibetischen, einen sri-lankischen, einen afghanischen, einen pakistanischen Buddhismus… Afghanistan und Pakistan waren buddhistische Länder, bis zur islamischen Eroberung, die alles platt gemacht hat. Da kommt Dogmatismus ins Spiel. Schlimm!

Das vollständige Interview ist in meinem Buch Glaube, Liebe, Hoffnung erschienen.

Direkt zu bestellen über mich für 24,90 Euro unter Angabe der Postadresse: https://www.paypal.com/paypalme/BookFaithLoveHope

  • Herausgeber ‏ : ‎ Anke Kühne (23. Oktober 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Hardcovereinband ‏ : ‎ 144 Seiten Hochglanz
  • Fadenbindung mit Kapitalband
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3000701257/ ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3000701252

Oder über Amazon als Kindle-Edition für 9,99 Euro:
https://www.amazon.de/Glaube-Liebe-Hoffnung-Anke-K%C3%BChne/dp/3000701257

Kindermund tut Wahrheit kund…

…und ist allein unterwegs!

Sie hegen Mordgelüste! Nachdem meine Kinder monatelang nicht in Schule, Kindergarten, beim Sport, bei Freunden oder auf Spielplätzen waren, wollen sie sich gegenseitig umbringen. Wer könnte es ihnen verübeln? Auch ich habe so meine Phantasien…
In den Augen meines Jüngsten sehe ich ein gefährliches Funkeln, als er einen Hammer wie eine Axt über seinem Kopf hält, vor ihm der Blondschopf seines Bruders. Danke, ja, ich weiß, dass Hammer nicht in Kinderhände gehören! Aber jüngst geschehen die unerklärlichsten Dinge… Kurz darauf schneidet das vermeintlich sanftmütigere Kind, welches nur knapp dem Anschlag entging, Rosen. Nein, auch dafür habe ich keine vernünftige Erklärung. Es dreht sich mit der Gartenschere in der Hand scharf nach rechts, um sich dem Durchtrennen der Finger seiner Schwester zu widmen. Meine vernünftige große Tochter klettert nach dem Schock entspannt im Trapez. Plötzlich tritt sie, wie eine Ninja-Kämpferin, beiden Brüdern gleichzeitig in den Bauch. Ich muss die Kinder konsequent trennen! Sonst ist es nur noch eine Frage der Zeit, falls es eines erwischt!
Zunächst erkunden wir Hamburgs Umgebung. Es ist erstaunlich, was für tolle Wälder es gibt. In Hamburg geboren und aufgewachsen, sind sie mir fremd! Es riecht wie in Schweden. Es sieht aus wie in Kanada. Sie müssen neu gewachsenen sein! Ich vermute, diesen Frühling…

An einen gemeinsamen Urlaub ist diesen Sommer nicht zu denken! Ich fahre mit meinem Blondschopf nach St. Peter-Ording. Er ist wie ausgewechselt: friedlich, glücklich und kuschelig. Wir schmusen den ganzen Tag, schlemmen ständig auf unserem Balkon, malen und spielen Schokohexe. Wüsste ich es nicht besser, meinte ich, es sei ein anderes Kind. Ich bin ganz verliebt in meinen Kleinen!


Mein Mann wählt die Abenteuervariante mit Übernachten im Strandkorb für unsere Große. Sie fahren mit Rädern auf die Fähre nach Föhr und machen ihre erste kleine Radtour ans andere Ende der Insel. Sie müssen mit dem klar kommen, was auf den Gepäckträger passt. Es ist ein großes Abenteuer für meine plötzlich noch mal ganz kleine Tochter. Sie schlafen direkt unterm Sternenhimmel, sehen die Milchstraße, Sternschnuppen und einen Kometen. „Papa, darf man sich wirklich bei jeder Sternschnuppe etwas wünschen?“, fragt sie verlegen. Sie sehen Fledermäuse in ganz klein und ganz groß und kuscheln sich tief in ihren Schlafsack.
Im Urlaub mit meinem Jüngsten an der Ostsee, erlebe ich ihn unkonzentriert, ungeduldig und schnell aggressiv werdend. Wir kommen am besten erstmal an! Ich staune, wie ausdauernd er Rad fährt. Dazu kommt es normalerweise nicht, weil seine Schwester und sein Bruder nicht so lange durchhalten. Ohne Tränen steht er sofort wieder auf, wenn er stürzt. Da sein Bruder die größte Heulboje ist, die mir je begegnete und mein Augenmerk normalerweise dem Ausschalten der Sirene gilt, fällt es mir sonst nicht groß auf. Am zweiten Tag ist mein Lütter laut, rüpelig und überhört jedes Stopp, ich bin genervt. Wie mutig mein Kleiner im Allgemeinen alles angeht, ist mir zwar bekannt, allerdings habe ich meist im Fokus, dass seine Geschwister ihn immer vorschicken. Ich finde das sonst gemein. Im Restaurant winkt er nun den Kellner heran und fragt formvollendet: „Kann ich bitte noch etwas Ketchup bekommen?“ Mein Herz geht auf. Tags darauf wieder Rückschläge: nichts ist ihm recht, wir streiten ständig, er trotzt: „Ich will zu Papa, sofort!“ Ist dieser kleine Wutkopf wirklich mein Kind? Ich bin kurz davor, überstürzt abzureisen. Als wir auschecken wollen, sagt uns der freundliche junge Mann am Empfang: „Ihr habt aber noch eine Nacht!“ Es muss nicht harmonisch, perfekt und erholsam sein, muntere ich mich auf. Dass wir uns ziemlich weit von diesem Idealzustand entfernt befinden, verschweige ich mir lieber. Hauptsache wir verbringen Zeit miteinander. Am anderen Morgen ist mein Jüngster wie ausgewechselt. Wir gehen schon vorm Frühstück schwimmen, scherzen den ganzen Tag und bauen eine so schöne Sandburg, dass uns andere Kinder fragen, ob sie mitspielen können. Mein Lütter zeigt sich gönnerhaft. Ich denke: Alles braucht seine Zeit und gut, dass mal nur wir beide allein unterwegs sind!

Ich hätte mir schönere Umstände. gewünscht, die zu unserem Experiment führten. Aber ich kann jedem mit mehreren Kindern nur empfehlen, mal nur mit einem zu verreisen! Es ist erstaunlich, wie erholsam es sein kann oder wie frisch verliebt man in das eigene Kind ist und welche ganz neunen Seiten man auf einmal entdeckt, auch an sich selbst. In diesem Sinne: Ahoi und auf in neue Gewässer!

Glaube, Liebe, Hoffnung

Den American Dream gibt es für mich nicht mehr…

Fotos: Mohammad Kabajah

Die 22-jährige Natalia Chicu wurde in Chinisau, in der Republik Moldau geboren. „Am meisten weiß ich die Leute in Moldawien zu schätzen. Ihre Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit sind besonders ausgeprägt. Sie würden alles mit dir teilen. Man kann immer mit ihnen reden, das vermisse ich manchmal“, erzählt sie.
Das Essen sei großartig, wie zum Beispiel Mămăligă. „Das ist eine Art Polenta, aus Mais hergestellt. Wir essen es zusammen mit Käse und Sour Cream“, schwärmt sie.
Abgesehen davon sei die Landschaft sehr schön und der Wein besonders. Moldawien exportiert fast seinen gesamten Wein. „Meine Großeltern stellen ihren eigenen Wein her“, sagt sie. Natalia Chicu ist stolz aus der Republik Moldau zu sein. „Nicht wegen der Politik, aber das trifft auf alle Länder zu, in denen ich lebte: Moldawien, Israel und die USA. Politik ist immer ein Problem“, weicht sie aus. Es gebe Chancen auf gute Jobs in der Republik Moldau. Doch selbst sehr kluge Leute bekämen nicht ausreichend Respekt. Deshalb gehe ein Großteil der jungen Leute ins Ausland. Dort fühlen sie sich ermutigt, sich weiterzuentwickeln und unkonventionell zu denken. „Ich glaube, es sind Überreste des sowjetischen, konservativen Denkens. Man wird in Moldawien bei der Arbeit von Kollegen verurteilt, das erzählen mir auch viele meiner Freunde. Wenn man dagegen in die Welt hinausgeht, als würde sie einem gehören, mit all dem eigenen Wissen, findet man sich selbst“, erklärt Natlia Chicu.
Trotzdem fände sie es wundervoll eines Tages wieder in der Republik Moldau zu leben! Sie ist Einzelkind. Ihr Zuhause sei kein bestimmter Ort, sondern ein Gefühl. Dort, wo ihre Eltern sind. „Sie könnten umziehen und wo immer sie dann wohnten, wäre mein Zuhause! Sie besuchten mich in Bulgarien an meiner Uni und ich vermisste sie vorher wahnsinnig. Ganz plötzlich fühlte es sich an wie zu Hause“, lacht sie. Auch wenn sie ihren Verlobten in Israel besuche, sei sie glücklich und das hänge nicht mit dem Ort zusammen.
Sie wünscht sich, dass Moldawien eines Tages zur Europäischen Union gehört. „Ich bin eigentlich Rumänin und habe einen moldawischen und einen rumänischen Pass. So fühle ich mich als Halbmoldawierin und Halbeuropäerin“, lacht sie. Die Russen trennten die heutige Republik Moldau in der Vergangenheit in einen rumänischen und einen russischen Teil. Die Hälfte der Rumänen nimmt der EU gegenüber eine positive Haltung ein und würde ihr gerne beitreten. Das würde vieles leichter machen ist Natalia Chicu überzeugt, zum Beispiel in wirtschaftlicher Hinsicht. Auch würde es die Bevölkerung und die generelle Denkweise ändern sowie die Bildung verbessern.
Natalia Chicu spricht sechs Sprachen und ist dabei eine Siebte zu lernen. „Ich spreche Rumänisch, weil ich mich so mit meinen Eltern verständige“, sagt sie. Englisch ist ihre Zweitsprache, sie lernte sie bereits im Kindergarten. Russisch hörte und lernte sie auf den Straßen. Französisch hatte sie in der Schule und übt es jetzt gerade während eines Praktikums in Frankreich. „Italienisch ist dem Rumänischen sehr ähnlich! Ich spreche es nicht fließend, aber Konversation ist möglich“, erklärt sie. Bulgarisch lernte sie, als sie anfing, an der Amerikanischen Universität in Bulgarien (AUBG) zu studieren. Jetzt lernt sie Hebräisch, weil ihr Verlobter in Israel lebt.

„Wenn du aus deinem Land gehst, ergibt sich eins aus dem anderen, es ist wie eine Verbindung, als ob du fliegst…“


„Ich machte in Paris eigentlich einen Austausch an der Uni. Aber den beendete ich, weil ich mit einem betriebswirtschaftlichen Programm beginnen konnte. Es dauert sechs Wochen, danach arbeite ich an einem Gruppenprojekt und anschließend mache ich für vier Monate ein Praktikum in einem Start-up“, erzählt sie. Sie ist sehr dankbar dafür und liebt die Leute, mit denen sie zusammenarbeitet. Sie lebt in ihrem eigenen Appartement. „Ich habe entschieden, dass ich meine eigene Küche und alles haben will. Ich suchte etwa zwei Monate“, sagt sie.
Nach ihrem Aufenthalt in Paris geht Natalia Chicu zurück nach Bulgarien. Dort studiert sie Business Administration mit dem Schwerpunkt Management und im Nebenfach Marketing Communication. „Das wird mein letztes Jahr, dann mache ich meinen Bachelor“, lacht sie. Für ein Work-and-travel ging sie zwei Mal in die USA, 2017 und 2018. Natalia Chicu spricht über ihre Hoffnungen und Träume sowie ihre Enttäuschungen in Bezug auf die USA.

Wovon träumten sie als Kind?
Ich hatte viele Träume, sie wechselten ständig (lacht). Ich war ein sehr stilles Kind, dachte viel nach und redete nicht viel. Mein größter Traum war, erfolgreich zu werden, komme, was da wolle. Das bedeutet für mich, aus meiner Komfortzone herauszugehen, Neues zu lernen und das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Mein Traum war es, ins Ausland zu gehen.

Seit wann träumten sie von den USA?
Schon als Kind.

Wieso studierten sie in Bulgarien und nicht in den USA oder in der Republik Moldau?
Ich wurde in der High-School dazu inspiriert, ins Ausland zu gehen, als ich ungefähr 16 Jahre alt war. So begann meine Reise (lacht). Als ich die zwölfte Klasse abschloss, wollte meine Familie, dass ich nach Rumänien ziehe, weil es näher an Moldawien liegt. Mein Traum waren jedoch die Vereinigten Staaten. Wir konnten uns nicht einigen und kamen zu dem Kompromiss, dass ich nach Bulgarien gehe. Eine Freundin bestärkte mich darin, also probierte ich es aus und bin sehr dankbar dafür.

Wie kamen sie damit zurecht, dass der Unterricht an ihrer Uni ausschließlich auf Englisch stattfindet?
Anfangs war es sehr herausfordernd. Mein ganzes Leben, vor allem in der Schule, wurde mir britisches Englisch beigebracht. Die ersten zwei Monate konnte ich mich nicht an den amerikanischen Akzent gewöhnen. Die Professoren hatten auch alle verschiedene Akzente und ich war nur den Rumänischen gewöhnt. Obwohl sie Englisch sprachen, verstand ich nichts. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich daran (lacht).

Was waren ihre Hoffnungen, als sie das erste Mal in die USA reisten?
Ich hoffte, neue Leute kennenzulernen, die anders sind als ich. Ich wollte wissen, wie das Leben in den USA wirklich aussieht. Ich hatte auch die Vorstellung vom American Dream, wie man ihn aus den Filmen kennt. Meine Hoffnungen bezogen sich mehr auf ein Gefühl, das ich erwartete, als auf bestimmte Dinge, die ich vielleicht sehen und erleben würde. Als ich dort ankam, waren die Leute sehr gastfreundlich, alle grüßten und waren nett zu mir. Sie wirkten sehr offen. Trotzdem war es schwierig. Im ersten Jahr blieb ich deshalb nur einen Monat, statt den ganzen Sommer. Beim zweiten Mal war es sogar noch schwieriger für mich, weil ich direkt nach meinem Semester in die USA flog.

„Ich traf Leute aus aller Welt. Solche Bekanntschaften verändern einen, man versteht andere besser. Alle sind verschieden, aus unterschiedlichen Kulturkreisen, haben andere Denkweisen.“

Was waren ihre Aufgaben während des Work-and-Travel?
Ich war Empfangsdame und Dienstmädchen in einem Hotel. Es war sehr einfach. Ich sollte ordentlich aussehen und die Gäste willkommen heißen. Es war ein sehr schönes und traditionelles Ressort. Die Gäste sollten sich von Anfang an wohlfühlen. Ich arbeitete manchmal 14 bis 15 Stunden am Stück, das war teilweise hart.

Wie war es, von einer Eliteuniversität in die USA zu gehen und dort Arbeiten zu verrichten, die US-amerikanische Studenten nicht machen wollen?
Das war nicht immer leicht. Ich versuchte jedoch, meine Aufgaben trotzdem gut und gewissenhaft zu erledigen und anderen gegenüber fair zu bleiben.

Wie war die Bezahlung?
Nicht sonderlich gut. Einige, die mehrere Jobs gleichzeitig haben und dementsprechend keine freien Tage, können in einem Sommer trotzdem circa zehntausend Dollar und mehr verdienen. Auch ich erarbeitete mir eine anständige Summe, mit der ich das kommende akademische Jahr finanziere. Das Leben in Bulgarien ist wohlgemerkt auch recht billig (lacht). Es ist ein gutes Gefühl, wenn man sein eigenes Geld verdient. Ich bin jedoch nicht deswegen in die USA gegangen, sondern, um neue Erfahrungen zu machen und Leute kennen zulernen. Daher versuchte ich stets, zwei freie Tage pro Woche zu bekommen. Ich wollte die Zeit in den USA genießen. Ich finde es wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass Geld nicht alles ist. Ich kenne Studenten, die sehr hart arbeiteten und am Ende des Sommers starke Rückenschmerzen oder andere gesundheitliche Probleme hatten. […]

Transkription: Amélie Gloyer

Das vollständige Interview ist in meinem Buch Glaube, Liebe, Hoffnung zu lesen.

Direkt zu bestellen über mich für 24,90 Euro unter Angabe der Postadresse: https://www.paypal.com/paypalme/BookFaithLoveHope

  • Herausgeber ‏ : ‎ Anke Kühne (23. Oktober 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Hardcovereinband ‏ : ‎ 144 Seiten Hochglanz
  • Fadenbindung mit Kapitalband
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3000701257/ ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3000701252

Oder über Amazon für 24,90 Euro + 3 Euro Versandkosten
sowie als Kidle-Edition für 9,99 Euro:
https://www.amazon.de/Glaube-Liebe-Hoffnung-Anke-K%C3%BChne/dp/3000701257

Glaube, Liebe, Hoffnung

Depression, Bitch, bist du’s?

Armin Senbusch ist Künstler. Er schreibt, singt und fotografiert. Der 52-jährige war zwei Mal verheiratet und hat einen siebenjährigen Sohn. Er wohnt in Pinneberg in einem Gartenhaus, bei Freunden. Dort findet er Ruhe. In einer Großstadt zu leben, kann er sich nicht mehr vorstellen. „Es ist mir zu laut, zu eng und zu stressig“, sagt er. „Die erste Nacht hier im Haus, habe ich wie ein Stein geschlafen. Es war so unglaublich ruhig. Mein letztes Album schrieb ich komplett in wenigen Wochen, nahm es auf und habe es geschnitten. Es lenkte mich einfach nichts ab“, erzählt er.
Armin Sengbuschs Mutter wuchs als Deutsche im Iran auf. Als sie mit ihm schwanger war, ging sie mit 20 Jahren nach Deutschland. Sein Vater ist Perser, sein Stiefvater Deutscher, sein Halbbruder vier Jahre jünger. Innige Liebe, ständige Streits und häusliche Gewalt, prägten seine Kindheit. Sport gab ihm Halt. Besonders die Begeisterung für Fußball. Früh interessierte er sich für Comedians. Bereits als Teenager hatte er eigene Bühnenauftritte. Mit 14 Jahren imitierte er in Taizé das komplette Programm des Schweizer Kabarettisten Emil Steinberger. Mit 17 Jahren führte er sein Soloprogramm vor 600 Leuten in der Schulaula auf. „Eine halbe Stunde gab ich Pantomime, eine halbe Stunde Emil. Mit einer Abschminkpause dazwischen. Es war wirklich Kleinkunst. Und das hat total gerockt. Das war Rakete!“, erinnert er sich. Er wollte Schauspiel studieren. Doch seine Eltern entschieden, dass eine kaufmännische Ausbildung nach dem Abitur das Richtige für ihn sei. „Nach einem Jahr wollte ich die Ausbildung abrechen. Ich konnte nichts damit anfangen. Meine Eltern meinten, ich hätte dann ein Jahr meins Lebens vergeudet. Also machte ich weiter. Heute denke ich, dass ich drei Jahre meines Lebens vergeudete!“, sagt er.
Armin Senbusch leidet unter einer Form der Depression, die sich Dysthemie nennt. Sie verläuft chronisch und gilt als unheilbar. Dazu plagt ihn eine bipolare Störung. Diese ist gekennzeichnet, durch wechselweise manische und depressive Phasen. „Wenn’s blöd läuft, fallen beide Formen zusammen und ich habe eine Double Depression“, sagt er. Bei diesen Schüben helfe ihm auch die Liebe nicht. In solchen Phasen sei kein anderer Mensch für ihn existent. Die Depression sei immer da gewesen. Nach der Geburt seines Sohnes begab er sich erstmals in Therapie. Er verarbeitet seine Krankheit, indem er über sie schreibt, wie in dem Buch Depressionen leicht gemacht.
Im Interview spricht Armin Sengbusch über die Liebe, zu seinem Sohn, Frauen und der Kunst:

Wie ist das gefühlte Alter?
Ich fühle mich definitiv nicht wie 52 Jahre! In dem Alter bin ich noch nicht angekommen (lacht). Aber ich merke auch, dass ich nicht mehr so jung bin. 20-jährige Poetry Slamer, mit denen ich auf der Bühne stehe, sind nicht meine Welt! Ich verstehe das alles, aber da habe ich keinen Bock drauf! Die brauchen einfach noch ihre Zeit. Da fehlt die Lebenserfahrung. Gelassenheit kann man auch als junger Mensch haben, aber es fehlt an Weitsicht. Ich finde es gut, dass den Leuten aufgrund meines Alters klar ist, dass ich weiß, wovon ich rede. In Bezug auf meine Krankheit ist es wichtig, dass die Leute sehen, man kann auch älter werden damit. Nach der Geburt meines Sohnes sagte mir der Veranstalter eines Poetry Slams: Armin, zum ersten Mal siehst du so alt aus, wie du bist! Und ich dachte: Scheiße, ich fühle mich auch um 15 Jahre gealtert (lacht).

Laut Statistiken können Menschen mit deiner Geschichte, zu 80 Prozent keine sichere Bindung zu ihren Kindern aufbauen. Zu 75 Prozent geben sie ihre eigene Geschichte weiter. Und zu 85 Prozent können sie ihr Leben lang keine stabile Beziehung eingehen… Wie sehr ängstigt das?
Was die Beziehungen anbelangt, ist mir das scheißegal! Da habe ich keine Angst. Ich meine, es gibt einen Grund, warum ich zwei Mal verheiratet war. Aber wenn ich meinem Sohn Gewalt antun würde, müsste ich mich umbringen! Ganz ehrlich, das würde ich tun!

Ihn schlagen?
Das ist für mich undenkbar! Ich könnte meinem Sohn nie wieder in die Augen gucken. Schlimm! Ich ärgere mich schon, wenn ich laut werde und sage ihm, dass es mir leid tut. Dass es mit mir durchgegangen sei. Ich erkläre ihm, warum das passiert ist. Aber Gewalt? Nee, das geht gar nicht!

Die Form der Depression gilt nicht als schwer, wie fühlt sich das an?
Die Krankheit wird immer unterschätzt, weil es heißt, es ist nicht so schlimm. Aber es ist halt dauernd nicht so schlimm. Und DAS ist schlimm! Ich muss mich jeden verfickten Tag auf das Null-Level bringen, auf dem ich nicht mehr depressiv bin. Jeden Tag! Alle anderen Menschen haben das einfach so…

Inwiefern trägt Liebe durch depressive Phasen?
Meine beste Freundin glaubt, dass ich mit der Mutter meines Sohnes zusammen war, weil sie meine Aufgabe war. Weil sie auch Probleme hatte und mich brauchte.

Was trägt noch?
Ich sage in meinem Soloprogramm immer: Ich habe instinktiv ganz viel, richtig Falsch gemacht! Ich hielt mich mit legalen Drogen über Wasser. Das heißt, ich aß tonnenweise Süßigkeiten, trank Alkohol und hechelte Frauen durch…

…also war das eine Sucht, nach dem intensiven Gefühl des frischen Verliebtseins?
Ja, genau! Nach der leidenschaftlichen Liebe. Nach den Endorphinen. Und dem damit verbundenen Kick. Das zieht dich immer hoch. Und sobald das abflaute, kam die Nächste und die Nächste und die Übernächste und immer so weiter…

Ist das überwunden?
Ja! Ich stellte fest, dass ich mich damit zwar künstlich hochziehe, aber weil es immer Yin und Yang ist, fällst du im gleichen Ausmaß auch wieder runter! Und das ist dumm gewesen. Aber deswegen habe ich so lange überlebt, mit den Methoden, die ich mir selbst aneignete.

War das rückblickend eine Form der Selbstverletzung?
Ja, natürlich! Es war in der Regel auch so, dass die Frauen mich verließen. Das richtete ich immer so ein. Teilweise bewusst, aber auch unterbewusst. Und das erzeugte bei mir ein Gefühl der Minderwertigkeit. Das ist ein großer Kreislauf der Selbstverletzung und Selbstkasteiung gewesen. Aber ich hätte es sonst nicht geschafft!

Es war eine Überlebensstrategie?
Ja! Aber keine bewusste Entscheidung. Es war, wie wenn einer meinen Sohn bedrohen würde und ich nicht darüber nachdenke, sondern mich vor ihn werfe. Genauso entschied mein Inneres, wenn du klarkommen willst, dann musst du es so und so machen.

Wie beeinflusste Liebe die Depression noch?
Mit 24 Jahren fand ich heraus, dass ich adoptiert bin. Das hatten mir meine Eltern bis dahin nicht gesagt.

Und das tat richtig weh?
Das war das Schlimmste, was mir in meinem Leben passierte! Ich habe viel Scheiß erlebt. Aber danach war ich weg. Ich redete eine Woche lang nicht. Für drei Jahre zog ich mich komplett von der Bühne zurück.

Was waren das für Jahre?
Im Nachhinein sage ich: Hätte Ehrlichkeit mein Leben begleitet, wäre etwas ganz anderes aus mir geworden. Ich war nie zu Hause. Ich war immer zerfranst. Ich war am liebsten allein. Ich fühlte mich nirgendwo wohl. Ich wusste nicht, wo ich hingehöre. Wenn ich mich bei Frauen interessant machte, mit 14, 15 oder 18 Jahren, sagte ich: Mein Vater ist Inder. Mit 24 saß ich da und dachte: Wieso habe ich das getan? Ich wusste ja gar nicht, dass mein Vater Perser war! Ab dem 24. Lebensjahr war es dann drei Jahre richtig schlimm! Richtig, richtig schlimm… Da war ich komplett verloren!

War das eine Depression?


Hm, ja… Ich glaube… Ich kann gar nicht sagen, was ich war… In erster Linie war ich fassungslos! Weil ich das alles… Ich konnte nichts mehr einsortieren… Das ist so, als ob dir jemand den Teppich unter den Füßen wegziehst und du nicht fällst… Du wirbelst so durch die Gegend und es ist als ob… Und du weißt halt gar nicht, wo bin ich eigentlich? Wo ist oben und wo ist unten? Und das fand ich so schlimm… Für mich war alles ungeklärt! Und irgendwann stellte ich fest, dass ich die Sachen auch gar nicht klären kann…

War die Mutter gesprächsbereit?
Ja und nein. Ich merkte, dass sie das alles belastet. Und ich hatte gar keinen Bock darüber zu reden. Es dauerte ein Jahrzehnt, darüber sprechen zu können… Es sind halt so viele Sachen… Erstmal die Erleichterung, dass der Typ, der dich die ganze Zeit geschlagen hat, nicht dein Vater ist. Ich habe mich schon immer gefragt… In der Pubertät stellt man ja eh alles in Frage… Aber ich habe meine Mutter nie in Frage gestellt. NIE! Verstehst du, das war für mich so undenkbar… Ich konnte lange nicht darüber reden, ohne so mit Adrenalin vollgepumpt zu sein, dass ich am ganzen Körper zitterte. Es war wie mit einem Vulkanausbruch. Vorher war die Depression auch schon die ganze Zeit da und ich merkte es auch, wie so ein schwelender Vulkan und dann brach er aus.

Wie beeinflusste das die Liebe zur Mutter?
Meine Mutter ist eine tolle Frau! Aber sie ist schwach. Eine Freundin meiner Mutter schoss ihren Mann in den Wind. Sie zog ihren Sohn alleine groß. Ich dachte immer: Warum macht meine Mutter das nicht? Sie bekam es nie hin, sich zu trennen. Alle sagten es hinter vorgehaltener Hand… Als ich mich mit der Mutter meines Sohnes über Kinder unterhielt, war klar, falls einer von uns die Hand gegen unser Kind erhebt, nimmt der andere es und geht! Ich bin immer verprügelt worden. IMMER! Mir ist ein Zahn ausgeschlagen worden. Es hieß, ja das war ein Versehen. Aber wenn du so hart zuschlägst, dann ist das kein Versehen! Er wollte mir keinen Zahn ausschlagen, aber er wollte mich schlagen. Heute ist das eine Straftat! […]

Das vollständige Interview ist in meinem Buch „Glaube, Liebe, Hoffnung“ zu lesen.

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  • Herausgeber ‏ : ‎ Anke Kühne (23. Oktober 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Hardcovereinband ‏ : ‎ 144 Seiten Hochglanz
  • Fadenbindung mit Kapitalband
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3000701257/ ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3000701252

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